Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

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Buch. 
Kapitel. 
XII. 
Venezianer. 
die Verkündigung in S. Salvatore zu Venedig, immer noch voll Innig- 
keit und Empündung, aber trüb und schwer in der Farbe, so dass 
man, wie erzählt wird, es nicht als sein Werk anerkennen wollte, 
weshalb er im Unmuth und Eifer darunter schrieb: „Tizianus fecit 
fecit". Sein letztes Werk, ein Christus im Grabe, in der Akademie 
zu Venedig, soll vom jüngeren Palma vollendet worden sein. Auch 
hier ist in Composition, Ausdruck und malerischer Wirkung noch ge- 
nug zum Bewundern. 
Die Mannichfaltigkeit in den Werken des Meisters ist bereits 
mehrfach angedeutet worden. Wir haben aber noch besonders die 
Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit seines Geistes hervorzuheben; denn 
auch in dieser Hinsicht überflügelte er alle anderen Meister Venedigs. 
In christlichen wie antiken Stoffkreisen, im ruhigen Andachtsbild wie 
in der leidenschaftlich dramatischen Composition, im geschichtlichen 
Vorgange wie in der Idylle finden wir ihn zu Hause. Die Landschaft 
erhebt er zu solcher Bedeutung, dass ihre ganze fernere Entwicklung 
für Italien an seinen Vorgang anknüpft. Vor. Allem gilt er mit Recht 
als einer der ersten Bildnissmaler aller Zeiten, der ebensowohl vor- 
nehme Würde wie bezaubernde Anmuth, männliche Kraft wie weib- 
liche Schönheit in seinen Bildern auszuprägen wusste. 
Fragt man nach den frühesten Werken Tiziarfs, so ist nach dem 
Untergang der Kaufhausfresken zunächst auf gewisse einfache Andachte- 
bilder der Madonna zu verweisen, die am deutlichsten seinen Jugendstil 
und die weitere Entwicklung seiner Kunstweise erkennen lassen. So 
namentlich ein kleines Bild im Belvedere zu Wien (I. Stock, II. 41), 
welches die I-Ialbiigur der jungfräulichen Mutter vor einer Balustrade 
stehend zeigt, auf welcher das Christkind, ebenfalls stehend, dargestellt 
ist. Dies so oft von Bellini und seiner Schule behandelte Thema ver- 
räth hier im Bau der Gruppe, in den Motiven der Bewegung, namentlich 
der Hände, ganz neue Feinheiten, die Weit über das in der Schule 
Herkömmliche hinausgehen. Zugleich aber zeigt der ungemein indi- 
viduelle Kopf des schlichten Landmädchens, Welches die Madonna ver- 
tritt, die volle Anspruchslosigkeit der Natur, ähnlich wie Giorgionds 
Madonna zu Castelfranco. Auch das Kind erinnert in der Form des 
Köpfchens und dem mehr ernsten als heiteren Ausdruck an das Christus- 
kind in jenem Bilde; endlich findet die rundliche Heisehige Hand der 
Madonna Analogieen bei Giorgione wie bei Palma. Dazu kommt eine 
wonnige Wärme und ein duftiger Schmelz der Farbe, der dies köstliche 
kleine Werk als ein Zeugniss von dem angespannten Wetteifer mit
	        
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