Tizian.
Verhältniss
zu Karl
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Unabhängigkeit in einfacheren Verhältnissen mit einer glänzenden Hof-
stellung" zu vertauschen. Besser sagte ihm das freie Verkehren mit
seinen hohen Gönnern zu, welches freilich damals noch durch die minder
ceremoniösen, mehr einfach menschlichen Beziehungen zwischen Fürsten
und Künstlern einen erhöhten Reiz gewann. Bittet doch einmal Fede-
rigo Gonzaga seinen „Meister Tizian", ihm ein Gericht Fische von
Venedig mitzubringen.
Kaiser Karl wusste den Unabhängigkeitssinn Tizian's zu achten
und liess keine Gelegenheit vorbeigehen, ihn auszuzeichnen oder zu
sich zu laden. Bald nach der ersten Bekanntschaft fühlte der Kaiser
sich bewogen, ihn durch ein erst kürzlich veröffentlichtes Diplom zum
Ritter vom goldenen Sporn und zum Grafen des lateranensischen Pa-
lastes und des kaiserlichen Hofes und Consistoriums zu ernennen, und
ihm alle damit verbundenen Privilegien zu verleihen, namentlich das
Recht, allerorten im heiligen römischen Reiche Notare, Kanzler und
ordentliche Richter zu ernennen, illegitime Kinder legitim zu erkla-
ren u. s. w. Unter den Motiven, welche das zu Barcelona am 10. Mai
1533 erlassene Diplom anführt, heisst das bezeichnendste: „Sintemal
wir Deine besondre Treue und Ergebenheit gegen uns und das heilige
römische Reich, imgleichen unter Deinen übrigen ausgezeichneten Tu-
genden und Geistesgaben Deine ausgesuchte Kunst zu malen und
Bildnisse nach der Natur darzustellen in Erwägung genommen haben,
in welcher Kunst Du Dich uns als ein solcher bewiesen hast, dass Du
mit Recht der Apelles unsres Jahrhunderts genannt zu werden ver-
dienst; und indem wir das Beispiel unsrer Vorgänger Alexanders des
Grossen und des Octavianus Augustus nachahmen, von welchen Jener
einzig vom Apelles, dieser nur von den ausgezeichnetsten Malern dar-
gestellt sein wollte, wodurch sie weislich verhüteten, dass nicht durch
die Mängel ungeschickter Maler und durch schlechte und unschöne
Bilder ihr Ruhm bei der Nachwelt beeinträchtigt werde: so haben wir
uns Dir zum Malen anvertraut und darin sowohl von Deinem Geschicke
wie von Deinem Glücke solche Beweise erfahren, dass wir mit Recht
beschlossen haben, Dich mit kaiserlichen Ehren zu schmücken, um
dadurch unsre Gnade gegen Dich kund zu thun und ein Zeugniss
Deiner Tugenden auch bei der Nachwelt zu hinterlassena Mehr-
mals finden wir, denn auch Tizian in der Folgezeit am Hofe des Kaisers.
So im Frühling 1536 zu Asti im Feldlager, als Karl gegen Frankreich
rüstete; so 1548 und kurz nachher 1550 wiederholt mit grossem Ge-
folge in Augsburg, wo er unter anderm Philipp II. und den Kurfürsten