Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

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Buch. 
XII. Kapitel. 
Die Venezianer. 
berühmten Christus mit dem Zinsgroschen, und die Perträts des Fürsten, 
seiner Gemahlin Lucrezia Borgia und seiner Geliebten, der Signora 
Laura. Am glänzenden Hofe von Ferrara schloss er damals Freund- 
schaft mit Lodovico Ariosto, der in seinem nrasenden Roland" Gelegen- 
heit nahm, ihn zu verherrlichen. Etwa seit 1530 erscheint der grosse 
Meister im Zenith seines Ruhmes, wie ein schimmerndes Gestirn, das 
allmählich, aber stetig am Horizont heraufgestiegen ist, um einen weiten 
majestätischen Kreis am Himmel zu beschreiben und in langsamem 
Gange fast ohne Abnahme der Leuchtkraft den Aether zu erhellen. 
Die kunstsinnigsten und mächtigsten Fürsten der Zeit suchten ihn auf 
und überhäuften ihn mit Aufträgen und Gunstbezeugungen. Seit 1523 
finden wir ihn, "wie eine Reihe von Briefen beweist, im Verkehr und 
bald darauf in lebhafter Correspondenz mit dem Marchese Federigo 
Gonzaga zu Mantua, für den er manch treffliches Bild malte, und der 
mit den freundsehaftlichsten Ausdrücken sich an ihn wendet.  
Bald darauf (1532) beschied Kaiser Karl V. ihn zu sich an sein 
Hoflager nach Bologna, wo der .lebensgewandte Meister sogleich im 
höchsten Grade die Gunst seines kaiserlichen Mäeens zu erringen wusste. 
Ohne eifrig oder gar ängstlich um die Huld der Grossen sich zu be- 
mühen, verstand Tizian vortrefflich, in kluger Weltkunde die Verhält- 
nisse zu nutzen. Seine vornehme, imposante Erscheinung, die vollendete 
Anmuth des Benehmens, die edle und gefällige Art der Unterhaltung 
unterstützten seine glänzenden künstlerischen Gaben in einer Weise, 
dass in dem grossen Maler der ausgezeichnete Mensch zugleich ge- 
schätzt wurde.  
Während damals in Bologna zwischen Kaiser und Papst ein für 
Italien verhängnissvolles Bündniss geschlossen wurde und Tizian mit 
seiner lebenswarmen Kunst die Mussestunden Karls erheiterte, kämpfte 
Michelangelo als trotziger Republikaner gegen das Heer desselben Kai- 
sers, welcher der florentinischen Freiheit den Untergang geschworen 
hatte, und vertheidigte seine Vaterstadt in dem erhabenen Todeskampf 
ihrer Unabhängigkeit. In diesem Zuge liegt die ganze Verschiedenheit 
der beiden grossen Künstler ausgesprochen. Indess würde man irren, 
wenn man daraus auf eine sclavische Gesinnung in Tizian schliessen 
wollte. Es War mehr Gleichgültigkeit gegen politische Fragen, wie 
sie in ganz ähnlicher Weise bei der verwandten Natur unseres Goethe 
hervortritt; aber daneben fühlte Tizian den vollen Werth persönlicher 
Freiheit. Weder der Papst, noch der Kaiser, noch, andere Fürsten 
vermochten ihn durch lockende Anerbietungen zu bestimmen, seine
	        
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