506
Buch.
Kapitel.
XII.
Die Venezianer,
durch Verputzen stark gelitten. In der Galerie zu Dresden endlich
beündet sich das berühmte Bild, auf welchem Palma drei dieser schönen
Venezianerinnen vereinigt hat , allgemein bekannt unter dem Namen
der drei Töchter des Künstlers. Wenn auch nicht zu den feinsten und
vorzüglichsten dieser Werke gehörend, fesseln sie doch durch den
schmelzenden Reiz ihrer üppigen Erscheinung, in Welcher die Fülle
der farbigen Wirkung in einen freilich etwas zu weichen Gesammtton
aufgelöst ist. Dasselbe gilt von dem weiblichen Brustbild im Museum
zu Berlin, welches sich dadurch ebenfalls als eine Arbeit aus der
späteren Zeit des Meisters kund giebt. Diese köstlichen Frauenporträts
rechtfertigen vollkommen die Bezeichnung des Künstlers als van Dyck
seiner Zeit.
Hoch in einem wildromantischen Alpenthal, unfern der Gränze
Deutschlands, durchströmt von den klaren Wellen der Piave, liegt der
kleine Flecken Pieve di Cadore, der dem grössten Maler der Venezianer
das Leben schenken sollte. fllizian 3') erblickte wahrscheinlich im Jahre
1477, drei Jahre nach Michelangelds, sechs Jahre vor RafaePs Geburt
das Licht. Er stammte aus der alten Familie der Vecellj, die man
bis in den Anfang des 14. Jahrhunderts hinauf verfolgt hat, und deren
Mitglieder oftmals in ihrem Heimathsorte die angesehensten Aemter
verwaltet haben, wie denn im Jahre 1321 ein G-uecello als Podesta
von Üadore erwähnt wird. In der herrlichen Umgebung seines kleinen
Heimathortes wuchs der junge Tizian auf und empüng in zartester
Kindheit die Eindrücke einer grossartigen Alpennatur, Welche sich
nachmals in seinen Bildern zu den edelsten landschaftlichen Schöpfungen
verklären sollten. Der Abbate Cadorin hat das Haus als noch bestehend
nachgewiesen und abbilden lassen, in welchem Tizian geboren worden
ist. Es zeigt die malerische Anlage schlichter Wohngebäude des Südens,
geniesst aber nach allen Seiten eine herrliche Aussicht, Ob der Knabe
schon im Kindesalter Zeichen besonderer Anlagen ftir die Malerei da-
durch bekundet hat, dass er einst ein Bild der Madonna, mit dem Saft
von Blumen gemalt; 0b er schon in Cadore von dem dortigen Maler
Antonio Rossi Unterricht in der Kunst erhalten, lassen wir dahingestellt
4') Ridolji, vite de" pittori Veneti. Padova 1815. Ticozzi, vite de' pittori
Vecelli di Gadore. Milano 1817. Gius. Cadorin, Dello amore ai Veneziani di
Tiziano Vecellio. Ven. 1883. Crozoe und Chvalcaselle, Tizian's Leben und Werke,
deutsch von M. Jordan. Leipzig 1877. 2 Bde.