Giorgione.
Novellistische
Bilder.
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durch die steilen Felsenufer an antiken Ruinen vorbei sich den Weg
zum Flusse. Auf der einen Seite des Ufers steht, an einen Stab ge-
lehnt, eine feine Jünglingsgestalt, das träumerische Antlitz von einem
Walde dunkler Locken umhüllt, nachlässig in ein seltsames fast lands-
knechtartiges Kostüm gekleidet. Er blickt unverwandt auf eine Frau,
die auf dem andern Ufer sitzt und eben dem Bade entstiegen zu sein
scheint, denn bis auf ein Tuch, welches ihre Schultern umhüllt, ist sie
völlig unbekleidet, und nur das Gebüsch des Vordergrundes verhüllt
zum Theil ihre Formen. Die Anwesenheit eines Zuschauers scheint
sie nicht zu ahnen oder doch unbeachtet zu lassen, denn sinnend hinaus-
blickend giebt sie einem kleinen Knaben, der sich an sie schmiegt,
die Brust. Nichts liegt dem Bilde ferner als sinnlicher Reiz, denn
schon die unschönen schweren, mütterlich mühsamen Formen der Frau
sind dem entgegen. Vergeblich würde man auch eine Andeutung über
das Verhältniss der beiden Gestalten suchen; wir sehen in dem Bilde
nur den idyllischen Frieden stillen Mutterglücks im Schooss einer
üppigen Natur. Die Stimmung erhält durch die am Horizont auf-
ziehenden Gewitterwolken, aus denen eben ein Blitz herabzuckt, noch
geheimnissvolleren Ausdruck. Obwohl das Bild gelitten hat, ist es in
der feinen Stimmung des Kolorits immer noch, von hohem Reiz.
Eine mehr sinnlich heitere Schilderung des Naturlebens tritt uns
auf dem köstlichen Bilde des Louvre entgegen, welches eine jugendliche
Gesellschaft in reicher blühender Landschaft im Genuss der Musik darstellt.
Zwei junge Männer sitzen im Vordergrund auf einem Wiesenplan, und
Während der eine, vornehmere und feinere, die Laute im Schooss hält und
mit der Hand darüber hinstreicht, wendet der andere, eine mehr bäuerlich
naive Erscheinung, sich ihm aufmerksam zu. Als dritte im Bunde sitzt
ihnen gegenüber ein junges Weib, das dem Beschauer den Rücken
zuwendet, und deren breite volle Formen mit Ausnahme eines Ge-
wandes, das den Schooss bedeckt, unverhüllt erscheinen. Sie hallt in den
Händen eine Flöte, die sie eben vom Munde abgesetzt hat und scheint
aufmerksam dem jungen Manne zu lauschen. Links neben der Gruppe
steht ein anderes junges Weib, dessen volle Formen ebenfalls nackt
aus dem nur die Hüften und den Schooss umhüllenden Gewande her-
vortreten. Sie stützt sich mit der Rechten auf den Rand eines Brunnen-
beckens, in welches sie mit der linken Hand ein Schöpfgefass zu tauchen
im Begriff ist. Im Hintergründe der überaus poetischen, durch schöne
Baumgruppen und freie Durchblicke fesselnden Landschaft sieht man
einen Hirten mit seiner Heerde. Wie man (Crowe und Cavalcaselle)