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Buch.
XII. Kapitel.
Die Venezianer.
stehen ein ritterlicher und ein mönchischer Heiliger, Liberalis und
Franziskus, jugendliche Gestalten voll Ernst und Feinheit, ergreifende
Bilder inniger Devotion. Wie die Madonna im Charakter des Kopfes
an Bellini erinnert, so ist der h. Franziskus genau, nur in umgekehrter
Stellung, dem Bilde jenes Meisters aus San Giobbe entlehnt, nur dass
der Kopf in zart jugendliche Form übertragen ward. Ihm gegenüber
erscheint der h. Liberale in voller Rüstung, das Barett in der Rechten,
die Lanze mit der Fahne in der Linken haltend und an die Schulter
lehnend, ein idealer Typus jugendlichen Ritterthums. Der Künstler hat
in ihm die Heldengestalt des früh gestorbenen Matteo Costanzo ver-
herrlicht. Eine schlichtere Composition, eine anspruchslosere Zusammen-
stellung weniger Figuren lässt sich nicht denken; scheinbar haben sie
nichts mit einander zu schaffen, und nicht eine Spur gegenseitiger
Beziehungen, wie sie z. B. bei Correggio so stark hervortreten, macht
sich bemerklich; das Ganze durchweht der Hauch keuscher Zurück-
haltung und sinnigen Ernstes, dabei eine Zartheit der Formgebung, die
besonders in dem wunderbar fein modellirten Kopf der Madonna den
Ausdruck traumerischen Sinnens annimmt. Den höchsten Zauber aber
gewinnt das Bild durch die malerische Behandlung, denn der Vorder-
grund ist vom leisen Dämmerlicht des hereinbrechenden Abends über-
gossen, der seinen klaren Schatten über das helle 'l'äfelwerk des Fuss-
bodens wirft. Die Madonna aber mit dem Kinde strahlt in mildestem
Abendschein, der goldtönig wie mit den Farben Claude Lorrain's sich
über die Landschaft ergiesst, die völlig in Licht gebadet ist. An Fein-
heit und Klarheit des Tones, an tiefer Leuchtkraft der Farben und
Schmelz des Helldunkels, an Zartheit und Innigkeit der Empfindung
erscheint dies Bild als eine der wundersamsten Schöpfungen, mit denen
die neue Zeit sich ankündigt. Desshalb hat der Künstler auch all die
Pracht und Zier der Nebendinge, an welchen das 15. Jahrhundert eine
kindliche Freude hatte, mit männlichem Ernst abgethan und selbst den
Thron der Madonna so einfach gestaltet wie möglich. Es ist das volle
Gepräge der hohen Idealkunst, die nur durch die zwingende Gewalt
seelenvoller menschlicher Gestalten wirken will.
Die Nationalgalerie in London besitzt die meisterhafte in Oel
ausgeführte Originalskizze zur Figur des h. Liberale, die sich nur da-
durch vom Altarbild unterscheidet, dass der junge Ritter ohne Kopf-
bedeckung dargestellt ist. Das Werk entspricht so sehr der noch jetzt
auf dem Friedhof zu Castelfranco erhaltenen Grabstatue des jungen
Matteo Costanzo, dass man es wohl als eine Studie nach dem Leben