Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

484 
III. Buch. 
Kapitel. 
XII. 
Venezianer. 
ein geheimnissvolles Klingen die Lüfte durchbebt, alle Gestalten wonnig 
umgaukelt, die Umrisse jeder Form in einen weichen Schleier hüllt, 
und in die tiefsten Schatten eine Schaar muthwilliger Kinder des Lichtes 
in neckischem Wiederschein Wirft , dass selbst das Dunkel sich in 
ahnungsvolles verstohlenes Leuchten auflöst. Und welche Gestalten 
umspielte damals dies wunderbare Zwillingselement, welche Gestalten 
eines frei und zwanglos unter gliicklicherem Himmel erblühten Menschen- 
geschlechts, dessen edelste Repräsentanten auf allen Bildern der Vene- 
zianer den Abglanz eines unvergänglichen Lebens höchster Erdenfreude 
bis in späte kümmerliche Zeiten Werfen! Und dazu sandte der ferne 
Orient der weithin handelnden Seestadt seine prachtvoll phantastischen 
Söhne, Männer von hohem Wuchs und würdevoller Schönheit in kostbar 
schimmernden faltenreichen Gewändern, eine Welt eigenartiger charakter- 
voller Gestalten, die auf den Marmorfliessen des Markusplatzes unter 
dem weichfluthenden Mondlicht der orientalischen Pracht der Umgebung 
eine entsprechende Staffage schufen. 
Und dieser Dom von San Marco selbst, wie ragt er mit seinen 
vergoldeten Kuppeln und seinen schimmernden Mosaiken in die Luft, 
ein märchenhafter Gruss des Morgenlandes an das Abendland, ein 
byzantinisches Enclave auf dem Kunstgebiet Italiens! Hatte doch in 
seiner Form und mehr noch in seiner kostbaren innern Ausschmückung 
die Kunst des Orients einen neuen Triumph erlebt und den Wundern 
der natürlichen Umgebung ein kaum minder angestauntes Wunder der 
bildenden Menschenhand gegenübergestellt! Wer in Venedig in den 
früheren Jahrhunderten des Mittelalters mit dem Auge des Künstlers 
geboren ward, dem musste der feierliche Goldglanz und die strenge 
Farbenpracht der Mosaiken von San Marco als ein Höchstes künst- 
lerischer Herrlichkeit in die Seele brennen und den Sinn zur Lust an 
solchem überirdischen Schimmer entzünden. Trat er dann hinaus in's 
Freie und sah die Vaterstadt mit ihren Palästen und ihren Denkmalen 
sich im klaren Tageslicht sonnen, sah den Reichthum und die Schätze 
einer fremden Welt sich in ihren Kaufhallen ausbreiten, sah ihre edlen 
Söhne und Töchter voll Selbstgefühl sich in festlicher Lust auf dem 
engen unvergleichlichen Fleck Erde bewegen, den die Vorväter dem 
launenhaften Elemente abgerungen hatten, so musste wohl all der ver- 
einte Glanz sich zu wundersamer Farbengluth in der empfanglichen 
Seele entzünden. So kam dann die Farbe als das eigentliche Aus- 
drucksmittel der venezianischen Malerei, wie'es schon den Bellini, Cima,  
Carpaccio aufgegangen war, jetzt zur höchsten Durchbildung.
	        
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