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III. Buch.
Kapitel.
XII.
Venezianer.
ein geheimnissvolles Klingen die Lüfte durchbebt, alle Gestalten wonnig
umgaukelt, die Umrisse jeder Form in einen weichen Schleier hüllt,
und in die tiefsten Schatten eine Schaar muthwilliger Kinder des Lichtes
in neckischem Wiederschein Wirft , dass selbst das Dunkel sich in
ahnungsvolles verstohlenes Leuchten auflöst. Und welche Gestalten
umspielte damals dies wunderbare Zwillingselement, welche Gestalten
eines frei und zwanglos unter gliicklicherem Himmel erblühten Menschen-
geschlechts, dessen edelste Repräsentanten auf allen Bildern der Vene-
zianer den Abglanz eines unvergänglichen Lebens höchster Erdenfreude
bis in späte kümmerliche Zeiten Werfen! Und dazu sandte der ferne
Orient der weithin handelnden Seestadt seine prachtvoll phantastischen
Söhne, Männer von hohem Wuchs und würdevoller Schönheit in kostbar
schimmernden faltenreichen Gewändern, eine Welt eigenartiger charakter-
voller Gestalten, die auf den Marmorfliessen des Markusplatzes unter
dem weichfluthenden Mondlicht der orientalischen Pracht der Umgebung
eine entsprechende Staffage schufen.
Und dieser Dom von San Marco selbst, wie ragt er mit seinen
vergoldeten Kuppeln und seinen schimmernden Mosaiken in die Luft,
ein märchenhafter Gruss des Morgenlandes an das Abendland, ein
byzantinisches Enclave auf dem Kunstgebiet Italiens! Hatte doch in
seiner Form und mehr noch in seiner kostbaren innern Ausschmückung
die Kunst des Orients einen neuen Triumph erlebt und den Wundern
der natürlichen Umgebung ein kaum minder angestauntes Wunder der
bildenden Menschenhand gegenübergestellt! Wer in Venedig in den
früheren Jahrhunderten des Mittelalters mit dem Auge des Künstlers
geboren ward, dem musste der feierliche Goldglanz und die strenge
Farbenpracht der Mosaiken von San Marco als ein Höchstes künst-
lerischer Herrlichkeit in die Seele brennen und den Sinn zur Lust an
solchem überirdischen Schimmer entzünden. Trat er dann hinaus in's
Freie und sah die Vaterstadt mit ihren Palästen und ihren Denkmalen
sich im klaren Tageslicht sonnen, sah den Reichthum und die Schätze
einer fremden Welt sich in ihren Kaufhallen ausbreiten, sah ihre edlen
Söhne und Töchter voll Selbstgefühl sich in festlicher Lust auf dem
engen unvergleichlichen Fleck Erde bewegen, den die Vorväter dem
launenhaften Elemente abgerungen hatten, so musste wohl all der ver-
einte Glanz sich zu wundersamer Farbengluth in der empfanglichen
Seele entzünden. So kam dann die Farbe als das eigentliche Aus-
drucksmittel der venezianischen Malerei, wie'es schon den Bellini, Cima,
Carpaccio aufgegangen war, jetzt zur höchsten Durchbildung.