Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

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Buch  
Kapitel. 
Lombarden 
und 
Piemontesen. 
der Geberdensprache werden. Kein Künstler hat über eine schönere und 
reichere Melodie des Faltenwurfs zu verfügen. Man erkennt aus allen 
diesen Zügen einen Meister, der mit voller Lust sich in seinen Aufgaben 
ergeht und der, selbst wo er genrehafte Elemente, Figuren im Zeitkostüme, 
heitere Episoden einmischt, doch fast immer dabei Schönheit und Adel 
im Auge behält. Nur im gelegentlichen Anbringen jener kretinartigen 
Gestalten, die er selbst bei Darstellungen der Passion nicht verschmäht, 
verräth sich ein Rest ungeläuterter volksthümlich derber Empfindung. 
Den Anfang machen die Fresken in Varallo, von denen die 
frühesten, die am {meisten sein ursprünglich lombardisches Gepräge 
verrathen, sich in einer früher der Madonna, jetzt der heil. Mar- 
garetha gewidmeten Kapelle der Franziskanerkirche S. Maria delle 
Grazie befinden. Er malte hier, angeblich 1507, im Auftrage der 
edlen Familie Scarognini zwei Fresken der Beschneidung -und des zwölf- 
jährigen Christus unter den Schriftgelehrten. Letzteres ist eine überaus 
lebendige Composition, deren Einzelheiten" in der Charakteristik der 
spitzfindigen Pharisäer zum Theil an Mazz0lino's Auffassung erinnern; 
überaus edel und rein ist die Jugendgestalt Christi, der in einer hohen 
Bogenhalle auf erhöhtem Standort die ganze Scene auf's schönste be- 
herrscht. Zu seinen entzückendsten Schöpfungen gehört aber die Be- 
schneidung (Fig. 111), die von einem Klang reinster Jugendanmuth 
durchhaucht ist. In derselben am Fusse des Sagro Monte gelegenen 
Kirche malte er sodann bis 1513 an der ganzen etwa 30 Fuss breiten 
und 24 Fuss hohen Querwand vor dem Chor eine ausgedehnte Dar- 
stellung der Passion mit dem grossen figurenreichen Mittelbild der 
Kreuzigung und nicht weniger als zwanzig einzelnen Seitenbildern aus 
dem Leben Christi und der Madonna, mit der Verkündigung beginnend 
und mit der Auferstehung schliessend. Wie später in Lugano wollten 
auch hier die Mönche das beliebte und ergreifende Thema dem Volke 
möglichst nachdrücklich vor Augen stellen, aber während Luini dort 
das ganze Drama in einem einzigen Riesenbilde behandelt hatte, sucht 
hier Gaudenzio es in einzelne selbständige Scenen aufzulösen und zeigt 
sich dadurch als der modernere Meister. Allerdings sind alle diese 
Bilder nicht von gleichem Werthe, im Ganzen aber darf man sagen, 
dass jene Epoche in Italien keine Darstellung dieses grossartigen Drama's 
von gleicher künstlerischer Bedeutung hervorgebracht hat. Einzelne 
Motive erinnern noch an die Kunst Perugin0's, allein Alles ist von 
einer freien Künstlerkraft gestaltet und in einfachen, ergreifenden Com- 
positionen voll nachdrücklichen Lebens entfaltet. Im Hauptbild der
	        
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