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Buch.
Kapitel.
Piemontesen.
Lombarden und
einige seiner frühesten Arbeiten tragen in der That das Gepräge naher
Verwandtschaft mit diesem Künstler. Dann aber gewann Perugino
Einfluss auf Gaudenzio, obwohl wir nicht wissen, 0b er etwa die un-
mittelbare Lehre des umbrischen Meisters erfahren hat. Weiter hat
Lionardo und wahrscheinlich auch Luini's Beispiel auf den empfänglichen
Sinn des ungemein beweglichen Künstlers eingewirkt. Sodann scheint
er nach Rom gegangen zu sein und unter Rafael eine Zeitlang gearbeitet
zu haben. Diess kann jedoch erst nach 1513 und nicht wie man wohl
annimmt, vorher stattgefunden haben, denn seit 1510 malte er mehrere
Jahre in Varallo, in den nächstfolgenden Jahren finden wir ihn in
Novara beschäftigt, und sein schönes Bild in S. Gaudenzio daselbst
vom Jahre 1515 steht in Form und Empfindung etwa zwischen Rafael
und Sodoma, ohne jedoch geradezu Einflüsse des letzteren zu verrathen.
Man darf daher annehmen, dass Gaudenzio erst in den späteren Lebens-
jahren RafaePs sich dauernd in Rom aufgehalten hat. In der That
vermögen wir ihn erst gegen Ausgang der zwanziger Jahre in der
Lombardei wieder nachzuweisen. In seinen späteren Arbeiten verräth
sich dann bald der rafaelische Einfluss durch dein entschiedenes Streben
nach Adel, Würde und Anmuth der Köpfe und klassischem Stil der
Gewänder, und selbst die plastische Kraft der Färbung und Modellirung
erinnert an die römische Schule. Damit verbindet sich aber eine aus-
gesprochene Neigung zu leidenschaftlichem Affekt und kühnen Be-
wegungen und bisweilen zu einer Üeberfüllung der Compositionen, in
welchen ein Rest alterthümlicher Auffassung sich verräth. Gaudenzio
steht wie Luini unter dem Einfluss jener in Oberitalien heimischen
kirchlichen Gesinnung, die sich namentlich in Schilderungen der Passions-
scenen nicht genug thun kann. Sie hat darin eine starke Verwandt-
schaft mit der deutschen Empfindung, so dass man fast vermuthen
möchte, der starke Zusatz germanischen Blutes in der dortigen Be-
völkerung gebe sich darin zu erkennen. Denn Während die Schulen
von Florenz und Rom auf der Höhe der Renaissancebildung sich von
diesen Stoffkreisen fernhalten, ergeht sich Oberitalien mit Vorliebe in
Darstellungen des Leidens, bei welchen die Malerei oft mit der Plastik
sich verbindet, um jene realistischen Gruppen hervorzubringen, welche
an die volksthümlichen Schauspiele der Passion erinnern und an den
bemalten Schnitzaltären Deutschlands ihr Gegenstück finden. Mit dieser
Tendenz verbindet sich nothwendig ein derber Naturalismus, wie ihn
schon Mantegna, Bellini und Crivelli in solchen Stoffen bewährten und
Mazzoni mit nicht minderer Kraft in seinen plastischen Gruppen aus-