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Buch.
XI. Kapitel.
Piemontesen.
und
Lombarden
schifiige Kirche mit einem offenen Dachstuhl bedeckt ist, so wird das
Bild nach oben giebelförmig abgeschlossen. Den Mittelpunkt der Dar-
stellung bildet Christus am Kreuz, von wehklagenden Engeln in herr-
licher Gruppirung umgeben. Die Gestalt Christi ist von edler Schön-
heit, der Ausdruck des Kopfes rührend weich, die Engel in Gewän-
dern, Bewegungen und Köpfen voll herrlicher Motive, diese oberen
Theile des Bildes von grosser Frische der Färbung, Während die übrigen
Partien im Kolorit etwas ausgeblieben sind. Zu beiden Seiten sieht
man, ebenfalls an sehr hohen Kreuzen, die beiden massvoll charak-
terisirten Schälcher, deren Seelen in alterthümlicher Weise ein Engel
und ein phantastischer Teufel in Empfang nehmen. Der ganze untere
Plan des grossen Bildes ist mit reich bewegten Gruppen gefüllt und
mit Kriegsknechten, aus deren Schaar die Hauptleute zu Pferd hervor-
ragen, prachtvolleGestalten, theils im Kostüm der Zeit, theils in rö-
mischer Tracht. Ausserdem sieht man überall zuschauendes Volk heran-
drängen, darunter namentlich eine jugendlich schöne Mutter mit zwei
Kindern, deren_ eines sie auf dem Arme trägt. Gleich daneben die
herrliche Gruppe der Schmerzensmutter, die" in ihrer Ohnmacht von
den Freundinnen mit edlem Ausdruck der Theilnahme unterstützt wird.
Auf der andern Seite sieht man die Hohenpriester und andere geist-
liche Würdenträger auf Maulthieren halten, um dem Schauspiel zuzu-
schauen. Dicht dabei mehrere Schergen, welche sich um die Kleider
Christi streiten. Aus all dem Gewimmel hebt sich dann wieder die
edle Gestalt des Lieblingsjijngers (Fig. 108), der schmerzvoll_ zum
Kreuze emporblickt, in ihrer weichen Empfindung überaus charak-
teristisch für Luini. An der andern Seite des Kreuzes hat sich Magda-
lena niedergeworfen, eine poetische Erscheinung mit prachtvollen, lang
herabwallenden Ringellocken, beide Arme, von leidenschaftlichem Schmerz
übermannt, ausbreitend. Diese ganze ungemein gedrängte Composition
ist über die untere Hälfte des Bildes ausgetheilt.
Die obere Fläche benützte der Künstler, um in einer reich ab-
gestuften Hügellandschaft die ersten und letzten Scenen des grossen
Dramas zu entfalten. Er baute daher symmetrisch zu beiden Seiten
eine dorische Saulenhalle in das Bild hinein, in welcher man links die
Geisselung und Dornenkrönung Christi, rechts die Scene mit dem un-
gläubigen Thomas sieht; darüber dort Christi Gebet zu Gethsemanc,
hier die Verklärung auf Tabor. Die grossen Lücken zwischen diesen
beiden Endpunkten in der Mitte des Bildes füllte er durch eine figuren-
reiche Darstellung des Ganges nach Golgatha und durch eine Beweinung