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Buch.
Kapitel.
Piemontesen.
Lombarden und
etwas alterthümlich steif und feierlich auf Wolken und erhält nament-
lich dadurch ein schwerfälliges Gepräge, dass zwei Engel auf beiden
Seiten ihren Mantel weit ausbreiten, während zwei andere mit der
Krone über ihr schweben. Ganz köstlich dagegen sind die kleineren
Engelknaben, welche singend und jubelnd sie umgeben. Unter dieser
reich bewegten Gruppe öffnet sich der Blick in ein herrliches Flussthal,
dessen phantastische Felsbildungen mit Burgen und Kirchen bedeckt
sind. Im Vordergrunde umgeben die Apostel mit lebhaften Bewegungen
des Erstaunens den offenen Sarkophag. Die genaue Sorgfalt der Durch-
führung steht hier in einem gewissen Gegensatz zu der Grösse der
Formen und der freien Bewegung der Gestalten; aber das Ganze ist
ein Werk von edler Innigkeit des Ausdrucks und hoher Gediegenheit
der Behandlung.
Weitaus der bedeutendste unter den Nachfolgern Lionardo's ist
der edle Bemardino Luini, so genannt von dem reizend gelegenen
Marktßecken am Lago maggiore, der sein Geburtsort ist. Wir wissen
von den Lebensumständen dieses liebenswürdigen Künstlers so gut wie
Nichts, nicht einmal das Datum seiner Geburt oder seines Todes. Bis
gegen 1530 scheint er gelebt zu haben und um 1500 soll er zuerst
nach Mailand gekommen sein. Wir werden aber das letztere Datum
jedenfalls früher ansetzen müssen, denn sicherlich hat er den Einfluss
Lionardo's noch unmittelbar erfahren. Wenn man ausserdem erwägt,
dass in den früheren Werken des Künstlers sich noch Spuren alter-
thümlicher Anschauungen finden, so wird man ihn zu denjenigen Meistern
rechnen müssen, welche noch aus der älteren Schule vor Lionardo's
Auftreten hervorgegangen sind. Auf dem Fresko des zwölfjährigen
Jesus im Tempel in der Kirche zu Saronno scheint der Künstler sich
selbst in vorgerücktem Alter dargestellt zu haben; wir werden demnach
seine Geburt wohl bis um 1470 hinaufrücken dürfen. Auch seine über-
aus zahlreichen Werke bieten nicht genügende Anhaltspunkte, um seinen
künstlerischen Entwickelungsgang, festzustellen, da keinerlei urkundliche
Mittheilung über dieselben vorliegt und die Bilder selbst nur selten mit
dem Namen des Meisters oder mit einer Jahreszahl versehen sind.
Mehr als irgend ein anderer hat Luini das Erbe Lionardds angetreten,
weniger freilich in der tiefen Geistesmacht und dem gewaltigen Ernst
der Charakteristik, als vielmehr in der holden Anmuth der Köpfe und
Gestalten. Nicht unähnlich Sodoma ist auch Luini's Kunst dem Jugend-
lichen zugethan, und seine Madonnen, Engel und jugendlichen Heiligen
sind durch einen besonderen Zug von Reinheit und Zartheit ausgezeichnet.