Zweites
Kapitel.
Lionardo
Vinci
Florenz bleibt auch jetzt noch der Ausgangspunkt. für die Ent-
Wicklung der Kunst. Allerdings hatte gegen Ende des 15. J ahrhundgyts
die Schwärmerei Savonarolas die Blüthe der Stadt nicht Wenig ge-
schädigt und sie in heftige Wirren gestürzt. In dem fanatischen
Puritanismus des leidenschaftlichen Mönchs kam die ascetische Rich-
tung des Christenthums, welche neben dem fröhlichen, zum Theil
ausgelassenen Heidenthum des Humanismus immer vorhanden gewesen
war, zu einem Ausbruch, der eben durch den Gegensatz in's Extreme
gesteigert wurde. So gewaltig wirkte die feurige Bercdsamkeit des
Bussepredigers, dass er alle tieferen Naturen eine Zeit lang für sich
zu gewinnen wusste. Selbst unter den Künstlern hatte er eine
starke Anhängerschaft, in deren Reihen wir Männer wie Fra Bar-
tolommeo und Michelangelo erblicken, obwohl sein Eifer den holden
Schöpfungen der Kunst feindlich gesinnt war. Denn nicht bloss ver-
dammte er die Darstellungen aus der antiken Mythologie, die ihn
durch ihre Nacktheit itrgerten, sondern er eiterte sogar gegen
kirchliche Bilder, auf welchen die Madonna die Züge und die
Gewänder irgend einer anmuthigen Florentinerin trug. S0 rein auch
seine Motive waren, so gehören doch die Aeusserungen derselben in
das grosse Kapitel des menschlichen Irrwahns, und als er vollends
sich zu einer politischen Rolle verstieg und sich zum Haupte der
unter das ideale Scepter Christi gestellten Republik aufwarf, war sein
Untergang unvermeidlich.
Welch' phantastische Orgie der Askese war jener Schluss des
Karnevals von 1497! Mit Kinderprozessionen und Psalmodieen suchte
er die sonstige Lust des Karnevals zu verdrängen; von Haus zu Haus
gingen seine Anhänger, um die Eitelkeiten (nvanitaa) zu sammeln,
d. h. Bücher, Gemälde, Zeichnungen, welche ihm anstössig erschienen,
Masken und Faschingsanzüge, und alles dies wurde auf der Piazza
Lübke, Italien. Malerei. II. 3