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Buch.
Kapitel.
Gorreggio.
von naiver Freude über das reizende Kind, das sie mit dem lebhaf-
testen Ausdruck von Staunen und Lust betrachten. Selbst der präch-
tige Schäferhund, der sie begleitet, scheint in der klugen Weise dieser
Thiere an dem Ereigniss Theil zu nehmen. Ja sogar die schöne
Engelgruppe, die jubelnd herbeischwebt, verhält sich weniger anbetend
als vielmehr im naiven Ausdruck kindlicher Neugier und Freude. Das
Einzige, wodurch die Darstellung etwas Mystisches erhält, ist das nach
der Legende von dem Kind ausgehende Licht, das glänzend von der
Mutter wiederstrahlt und die ganze Scene in eine magische Beleuchtung
setzt. Hier zeigt sich wieder der grosse Meister der Lichtwirkung
und des Helldunkels. Denn mit wunderbarer Poesie durchiiuthet das
Licht in den zartesten Abstufungen das ganze. Bild, lässt uns im Hinter-
grunde Ochs und Esel und die Gestalt des Nährvaters erkennen und
umspielt im zarten Dammerscheine noch die schön geschwungenen Ge-
birgskuppen, welche die poetische Landschaft abschliessen.
Zu den bedeutendsten Schöpfungen dieser Zeit gehört ferner die
Madonna des h. Sebastian, ebenfalls in der Galerie zu Dresden. Das
Bild wurde 1525 von der Schützengilde zu Modena zu Ehren ihres
Schutzpatrons bestellt und erhielt im Dom zu Modena in der Kapelle
der Genossenschaft seinen Platz. Später in die herzogl. Sammlung
übergegangen, gelangte es im vorigen Jahrhundert aus derselben nach
Dresden. Ohne Frage gehört es zu den glänzendsten Schöpfungen
des Meisters. Auf Wolken schwebt, von neckischen Engelknaben um-
geben, die holde Gestalt der Madonna, auf dem Schoosse das überaus
liebliche Christuskind haltend. Unten stehen der h. Sebastian, eine
köstliche Jünglingsgestalt, mit den Händen an einen Baum gefesselt,
aber mit sehnsüchtiger Wendung des Körpers und verlangenden Blicken
zur Madonna hinaufschmachtend. Dies süsse Spiel streift allerdings
hart an's Buhlerische und ist für unsere Empfindung im Widerspruch
mit der kirchlichen Bestimmung des Bildes. Zu Füssen des Heiligen
liegt ein holdes halbnacktes Mädchen mit dem Modell des Domes, als
allegorische Gestalt der Modanina die Stadt Modena bezeichnend. Sie
ist von bezauberndem Liebreiz, aber an dieser Stelle doch fast be-
fremdlich. Auf der andern Seite sieht man die kräftige Pilgergestalt
des h. Rochus, des Schutzpatrons gegen die Pest, dessen Anwesenheit
auf dem Bilde das Werk als Votivbild mit Bezug auf die kurz vorher
dort wüthende Pest erkennen lässt. Der h." Rochus, dessen häufiges
Vorkommen auf italienischen Altarbildern Zeugniss ablegt von dem
oftmaligen verheerenden Auftreten dieser Seuche, war als Sprössling