Zehntes
Kapitel.
Mitten in dem reichen künstlerischen Leben Italiens begegnet uns
die Gestalt eines Meisters, der im Gegensatze zu den allgemein herr-
schenden Anschauungen der Zeit den entschiedensten Bruch mit der
Tradition vollzieht, die Malerei von ihrer kirchlichen, architektonischen
und plastischen Gebundenheit löst und sie zur vollen Freiheit führt.
Und es ist gewiss bezeichnend, dass diese kühnste aller Neuerungen
nicht von einem der grossen Mittelpunkte der Kunst getragen wird,
sondern von einem unscheinbaren, weltabgeschiedenen Orte ausgeht, der
vorher keine irgend nennenswerthe Blüthe gesehen hatte. Das kleine Cor-
reggio, ein unbedeutendes Städtchen bei Reggio, ist der Geburtsort des
genialen Künstlers, der von ihm den Beinamen erhalten hat. Antonio Al-
legrig), wie sein eigentlicher Name heisst, wurde dort, wie es scheint, im
Jahre 1494 als Sohn eines nicht unvermöglichen Kaufmanns Pellegrino Al-
legri und der Bernardina Piazzola geboren. Wir wissen von der Kindheit
des grossen Meisters nichts Zuverlässiges; ebensowenig erfahren wir von
seinen künstlerischen Anfängen und seiner ferneren Ausbildung. Wie ein
Meteor tritt die wundergleiche Erscheinung des erstaunlich frühreifen
Correggio in die Welt und verschwindet daraus nach einem kurzen, aber
an glänzenden Schöpfungen reichen Leben. Das tiefe Dunkel, welches
das Dasein dieses grössten Meisters des Lichtes umhüllt, gab schon
früh der Phantasie Anlass, dasselbe mit Sagen zu schmücken. Um
ein Poetisches Interesse romantischer Art für ihn zu erwecken, wurden
besonders mancherlei Märchen über seine angebliche Armuth in die
Welt gesetzt. Das bekannteste von diesen, welches in Oehlenschlägefs
Drama übergegangen ist, erzählt von der unwürdigen Art, wie ihm
einst sein Künstlersold in einem Sack mit Kupfermünzen ausbezahlt
worden sei, den der unglückliche Mann an einem glühend heissen Tage
nach Hause geschleppt habe. Ein Fieber sei die- Folge gewesen, das
k) Pungileovzi, memorie istoriche di A. Allegri. Parma 1817 ff.
Correggio. Leipzig 1871.
Julius Meyer,