Girolamo
del
Pacchia.
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Dieser, erst durch Milanesfs Forschungen zu seinem Recht ge-
kommene Künstler war als Sohn eines aus Ungarn eingewanderten
Kanonengiessers, Giovanni delle Bombarde, in demselben Jahre mit
Pacchiarotti 1477 in Siena geboren. Früh nach dem raschen Tode
des Vaters zum Handwerk gebracht, erlernte er wahrscheinlich bei
Fungai die Malerei und ging dann auf die Wanderschaft, welche ihn
im Jahre 1500 nach Rom führte. Welche Einflüsse seine Entwicklung
bestimmt haben, vermögen wir nicht zu sagen, da keine frühen Bilder
_von ihm nachzuweisen sind. Dazu kommt, dass lange Zeit, wie gesagt,
durch Verwechslung mit Pacchiarotti seine Wirksamkeit und selbst sein
Name verdunkelt waren. Zu seinen frühesten Arbeiten gehört wahr-
scheinlich eine thronende Madonna mit den H. Bernhard und Paulus
auf hübschem landschaftlichem Grunde in S. Cristoforo zu Siena. Dieses
Werk legt Zeugniss dafür ab, dass der Künstler, wie auch zu erwarten
steht, auf seinen Wanderungen nach Florenz gekommen ist und. dort
den Einiiuss Fra Bartolomrneds erfahren hat, denn die Anmuth der
Madonna, die Lieblichkeit des Kindes und der Engel, der edle Falten-
wurf und namentlich der tiefleuchtende Farbenton sowie der freie
meisterliche Auftrag erinnern an den Frate. Von ähnlicher Beschaffen-
heit ist die Krönung der Madonna in S. Spirito, ebenfalls durch breiten
Gewandwurf, Lebendigkeit und harmonischen Schmelz der Farbe be-
merkenswerth. Von gleichen Vorzügen ist die 1518 für S. Spirito
gemalte Verkündigung, jetzt in der Akademie, besonders durch die
treffliche Perspektive der Bogenhalle, in welche der Vorgang verlegt
ist, beachtenswerth.
Neben Fra Bartolommeo treten dann auch Einflüsse des Andrea
del Sarto und Sodoma's hervor; mit ersterem wetteifert er in der histo-
rischen Composition, mit letzterem in der Anmuth der Gestalten, wenn
er ihm auch an Liebreiz nicht gleichkommt. Zu seinen schönsten Ar-
beiten gehören die Fresken im oberen Oratorium von S. Bernardino,
jenem anmuthigen Raume, der mit seiner blauen goldgestirnten Kassetten-
decke und der reichen farbigen Ausstattung so harmonisch wirkt. Hier
ist von ihm zunächst an der Altarwand die Verkündigung dargestellt,
wieder auf reichem architektonischem Grunde, edel bewegte Gestalten,
besonders die h. Jungfrau von vornehmer Anmuth, in kräftig warmer
Färbung durchgeführt. Sodann vor Allem die Geburt Maria , die er
nach dem Vorgange Andrea del Sarto's zu einer reizenden Genrescene
ausgebildet und durch hohe Anmuth der Gestalten und Innigkeit der
Empfindung geadelt hat. (Fig. 92.) Wie die Wöchnerin auf ihrem