Dosso Dossi.
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nachgefolgt sei; denn um 1505 konnte Venedig einem Maler wohl
Bedeutendes bieten, Rom dagegen gewann erst seit 1508 und mehr
noch in den folgenden Jahren Anziehungskraft für die jüngere Generation.
In grossen Altarbildern wetteifert Dosso mit Garofalo und erreicht
nicht selten eine feierliche Schönheit des Aufbaus, verfällt aber dabei
manchmal in geschmacklose und triviale Einzelheiten, über die indessen
die wunderbare Herrlichkeit seines Kolorits hinweghilft. Er setzt in
grossen Massen ungebrochene Farben von intensivster Kraft neben-
einander und weiss sie durch feine Uebergänge und wohlabgewogenes
Helldunkel harmonisch zu verbinden. Ausser den kirchlichen Bildern
hat er auch Genrescenen, Landschaften und mythologische Darstel-
lungen geschaffen, in welchen er sich recht eigentlich zu Hause fühlt
und oft eine poetische, bisweilen auch eine phantastische Stimmung
zum Ausdruck bringt. Im Ganzen kreuzen sich bei Dosso so viele
Einflüsse, dass er dem rafaelischen Stil bei weitem nicht so unmittelbar
sich anschliesst, wie Garofalo.
Sein bewundertes Hauptwerk ist die fünf Meter hohe und fast
eben so breite Altartafel, welche in sechs Abtheilungen ehemals den
Hochaltar in St. Andrea schmückte und jetzt im Ateneo zu Ferrara
aufbewahrt wird. Das Mittelbild (Fig. 91) stellt auf hohem Throne,
zu dessen Füssen der jugendliche Johannes sitzt, die Madonna mit
dem Christuskinde dar. Zu beiden Seiten sieht man St. Hieronymus,
Andreas und Johannes den Evangelisten, auf den Seitenflügeln oben
Augustinus und Ambrosius, unten Sebastian und Georg, in der Mitte
über dem Hauptbilde den auferstandenen Christus. Eine unvergleich-
lich strahlende Farbenpracht berauscht das Auge, und eine Fülle von
Schönheit und Würde ist über die Gestalten ausgegossen. In der
Madonna glaubt man Einflüsse Lionardds und selbst Correggids zu
erkennen; der Auferstandene ist von jugendlicher Schönheit, aber nicht
eigentlich von idealer Hoheit. Ohne Zweifel gehört das Werk zu den
imposantesten Schöpfungen dieser grossen Zeit. In derselben Samm-
lung sieht man eine Verkündigung des Meisters, die wohl ein früheres
Bild ist und in feinerer Anmuth mit Garofalo wetteifert. Ebendort
der Evangelist Johannes in apokalyptischen Visionen, nicht ganz frei
in der Bewegung und im Ausdruck der Ekstase, aber von prachtvoller
Farbenwirkung und durch eine poetische Landschaft ausgezeichnet.
Das saftig-grüne Kleid, der rosenfarbene lllantel bilden, unterstützt von
dem tiefen Ton der Landschaft, die Hauptelemente in dem glänzenden
Farbenaccord.