Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

Buch. 
Kapitel. 
der ital. Hochrenaissance. 
Die Kunst 
baumeistcr, als Maler, Bildhauer, Architekt,  sogar Musiker und 
lmprovisator. In seinem „Trattato della pittura" vollendet er das 
von Leo Battista Alberti begonnene; aber was jener nur geahnt, führt 
er zur vollen Wirklichkeit in seinen Wunderwerken der Malerei, und 
so bildet er die Brücke vom 15. in das '16. Jahrhundert. In scile 
Fussstapfen tritt, wie ein junger Herkules, iibermüthig kraftvoll, Michel- 
angelo, der zum ersten Mal aus dem tiefsten Studium des klassischen 
Altcrthums jenen freien grossen Stil in die Kunst einführt, vor welchem 
 selbst die bedeutendsten Schöpfungen der Vorgänger fast wie bcfangene 
Schülerversuehe zusammensehrumpfen. Auch er in seinem Schalfen 
von wunderbarer Vielseitigkeit: in allen drei Künsten, in Architektur, 
Plastik und Malerei die grossartigsten Meisterwerke als unerreichbare 
Vorbilder für alle Zeiten hinstellend. Die Vollendung in lauterster 
Schönheit bringt dann Rafael, der aus seiner adligen Seele den unsterb- 
lichen Hauch göttlicher Anmuth über Alles verbreitet, was seine Hand 
berührt; auch er nicht hloss in der Malerei, sondern ebenso in der 
Architektur, in Studium und Erforschung des Alterthums erfahren. 
Daran reihen sich die Vollender rein malerischer Darstellung, Giorgione, 
der seiner leidenschaftlichen Empfindung in einem glutvollen mächtig 
accentuirten Farbenvortrag zum Ausdruck verhilft und Tizian, der seine 
Gestalten vom goldenen Licht eines reineren Aethers durchleuchten 
lässt, endlich Correggio, dessen lustdurchhauchte Gebilde sich in die 
durchsichtigen Schleier eines verstohlenen Helldunkels hüllen. 
So gross aber ist die schöpferische Kraft dieser Zeit, dass neben 
jenen höchsten Meistern ein ganzer Kreis von Sternen zweiten Ranges auf- 
leuchtet, die jenen an Glanz nicht selten sehr nahekommen. Der feierliche 
Fra Bartolommeo und der lebensfrische Andrea del Sarto, der stürmische 
leidenschaftliche Giulio Romano und der weiche Moretto, der anmuth- 
volle Sodoma und der markige Gaudenzio Ferrari, der milde Luini 
und der glänzende Lorenzo Lotto, die farbenprächtigen Ferraresen 
Garotalo und Dosso Dossi und so viele andere noch, die von der 
Intensität und Mannichfaltigkeit des künstlerischen Lebens im Cinque- 
cento Zeugniss ablegen. J a man kann sagen, selbst die kleinste Lokal- 
schule feiert unter dem mächtigen Impuls jener grossen Anführer eine 
Erneuerung und schwingt sich in edlem Wetteifer zu eigenthümlicher 
Vollendung empor. Noch jetzt ist es dem Wandrer wahrhaft staunen- 
crregend, wenn er in Italien auf Schritt und Tritt, selbst in den klein- 
sten Städten, die glänzenden Schöpfungen dieser Zeit kennen lernt. 
So unerschöpflich scheint dieser Reiehthum, dass das kunstgesegnete
	        
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