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III.
Büch.
VIII.
Kapitel;
Nachfolger
Schüler und
RafaePs.
Flucht durcheinander stürzen, von den Blitzen getroffen und von herab-
geschmetterten Felsmassen bedeckt. Tempel mit ihren Säulen und
Mauertrümmern brechen zusammen und erschlagen die Frevler; alles
scheint aus den Fugen zu Weichen, und der Eindruck dieses beängsti-
genden Wirrwarrs, verstärkt durch die ungeheuerliche Grösse der Gi-
ganten, beweist, wie hier so bald nach dem Tode RafaeYs alles schöne
Maass aus der Kunst gewichen, die statt der inneren Erhabenheit die
äussere Kolossalität anstrebt. Dabei ist mit Absicht die in den übrigen
Gemächern noch mit grosser Kunst angewandte Gliederung der Flächen
vermieden, so dass sich die wilde Fluth der Gestalten unaufhaltsam
über die Wände und Decke ergiesst. Ja sogar die Gränze zwischen
Fussboden und Wänden hat der Künstler zu verwischen gesucht, in-
dem er ersteren mit kleinen Steinen piiastern liess und diese an den
unteren Theilen der Wände durch Malerei fortsetzte; ein wunderlicher
Einfall, den Vasari in seiner Weise höchlich rühmt. Werke dieser Art
sind es, von Welchen die ganze Verwilderung der späteren Barock-
dekoration sich ableitet. Erstaunlich aber ist immerhin die schöpferische
Kraft der Zeit, wenn man erwägt, dass dieser ganze gewaltige Cyklus
in der kurzen Frist von 1528 bis 1534 ausgeführt wurde. In einem
von Gaye veröffentlichten Bericht vom 4. August 1534, welcher in. an-
schaulicher und ausführlicher Weise die Gemälde des Gigantensaales
schildert, werden dieselben als nahezu vollendet bezeichnet. Die zwei
herrlichen miniaturartig fein ausgeführten Entwürfe zu Darstellungen
des Psychesaales, und zwar zur Hochzeit des Bacchus mit Ariadne und
zum Bacchanal, in der Villa Albani zu Rom, bezeugen, wie fein ge-
lcgentlich Giulio damals noch zu empfinden und auszuführen vermochte.
Die Fresken im herzoglichen Palast, den Giulio ebenfalls neu
herzurichten und auszuschmücken hatte, vertheilen sich auf mehrere
Säle und Zimmer, und zeigen in ihrer reichen Dekoration den Genius
des Künstlers noch glücklich beherrscht von den Traditionen der rö-
mischen Zeit. Namentlich gilt dies von der ehemaligen Scalcheria im
Erdgeschoss, wo Giulio in den Lünetten der Decke die Jagd der Diana
in verschiedenen Scenen voll heiteren Lebens ausführte. Die Decke
selbst ist mit Stuckmedaillons und geistreich gemalten Ornamenten in
rafaelischem Stil geschmückt. Ueber dem Kamin malte er Vulkan und
Venus, die den Amor liebkost. Im ersten Stock sodann bewundert
man vor allem das Appartamento di Troja, seit 1536 durch Giulio
ausgebaut und ganz mit Fresken dekorirt. Der Cyklus beginnt an
der westlichen Wand mit dem Urtheil des Paris und dem Traum der