362
Buch.
Kapitel.
VIII.
Nachfolger
Schüler und
RafaePs.
dass hier überall schon der rafaelische Stil sich stark veräusserlicht;
gleichwohl wird das Auge durch den dekorativen Reiz dieser Werke
auf's Angenehmste beschäftigt. Sie athmen immer noch, wenn auch
nicht den höchsten Adel, so doch die glänzende Lebenslust der gol-
denen Zeit.
Weit weniger erfreut Perino in seinen freilich nicht häufigen
Staffeleibildern, die in der That schon so stark in Manier verfallen, dass
sie keine nähere Beachtung verdienen.
Eine ähnliche Natur, aber reicher und kraftvoller angelegt, mit
einer grösseren Fülle von Erfindungsgabe ausgestattet, ist Giulio Pippi,
einer der wenigen Künstler, welche Rom selbst hervorgebracht, daher
unter dem Namen Griulio Romano allgemein bekannt Er wurde 1492
geboren und scheint keine andere Schule vorher durchgemacht zu haben,
sondern mit der frischen Empfänglichkeit der Jugend sogleich zu Rafael
gekommen zu sein. Dass er dem Meister künstlerisch besonders nahe
stand und in den letzten Lebensjahren Rafaels sowohl bei dessen Fresken
wie bei den Tafelbildern in umfassendster Weise zur Mitwirkung be-
rufen ward, haben wir schon gesehen. Dem rafaelischen Stil hat sich
keiner von den Schülern so vollständig angeschlossen wie er, aber er
übersetzt die seelenvolle Ausdrucksweise seines Meisters in die derbere
Formensprache, welche seinem sinnlicheren Naturell gemäss war. Be-
zeichnend genug, dass die üppigeren Liebesscenen für das Badezimmer
"des Kardinals Bibbiena sogar in den Entwürfen dem Giulio überlassen
wurden. Der reinen Seele RafaePs war dergleichen offenbar zuwider.
Sicherlich ist nicht zu verkennen, dass zu des Meisters Lebzeiten sich
auch an der derberen Natur Griulids der sittigende und zügelnde Ein-
fluss wohlthatig spüren lässt, welchen RafaePs edler Geist auf alle
äusserte, die mit ihm in Berührung kamen. Aus dieser früheren Zeit
des Künstlers sind einige Altarbilder vorhanden, in welchen sich diese
reineren Inspirationen in anziehender Weise geltend machen.
Zu den bedeutendsten dieser frühen Bilder gehört die Hochaltar-
tafel in Sta. Maria dell' anima zu Rom. Man sieht die Madonna, ein
schönes, huldvolles Weib von grossen Formen auf ihrem Thron; neben
ihr steht das Christuskind, den einen Fuss im Vorschreiten auf den
Schooss der Mutter setzend, mit einer lebhaften aber etwas gesuchten
Bewegung. Mehrere schwebende Engel und zwei knieende Heilige
schliessen die reiche Composition ab, die voll dramatischen Lebens ist
vita
Conte d'A1'c0,
Romano.
Giulio
Mantova
1838.