350
Buch.
Kapitel.
VII.
unter Leo X.
Rafael
Christus ist unter der Last des Kreuzes zusammen gebrochen und
stützt sich, ganz wie in Dürer's Composition, mit der einen Hand auf
einen bemoosten Stein am Wege, während die Schergen den wider-
strebenden Simon von Kyrene zwingen, ihm das Kreuz von der Schulter
zu nehmen. Ein Blick unendlichen Wehes trifft aus dem edlen Antlitz
des Erlösers seine Mutter, die, von den frommen Frauen und Johannes
aufrecht gehalten, in die Kniee sinkt und mit erschütterndem Ausdruck
beide Arme machtlos gegen den geliebten Sohn ausbreitet. Eine herr-
liche Röthelstudie zu dieser Gruppe sieht man zu Oxford (Br. 48).
Im Hintergründe rechts schliesst der Anführer mit berittenem Gefolge
den Zug ab. In der Ferne sieht man die kahle Höhe Golgathals auf-
ragen. Die wunderbare Verbindung tiefsten Seelenschmerzes in mannich-
facher Abstufung mit einer Schönheit, welche selbst das tiefste Leid
noch verklärt, verleiht diesem edlen Werke eine der höchsten Stellen
unter den Schöpfungen der christlichen Kunst. In der Ausführung
verräth sich auch hier durch die grellen Töne des Kolorits die Hand
der Schüler, zugleich aber auch der Einfluss mancher über das Bild
ergangener Restaurationen, wohl erklärlich durch die vielen Schick-
sale, welche das Werk erlebt hat. Ursprünglich für jene Kirche zu
Palermo gemalt, welche den Namen Maria dello Spasimo trägt, weil
die Madonna dort als Helferin gegen Krämpfe angerufen wurde, erhielt
das Bild den Namen „Lo spasimo di Sicilia", erlitt aber bei der Ver-
sendung einen Schiffbruch und wurde vom Sturm an die Küste von
Genua verschlagen. Nur mit Mühe gelang es den Palermitanern, die
kostbare Beute den Genuesen zu entreissen. Nachmals erwarb Philipp IV.
es vom Kloster gegen eine Jahresrente von 1000 Scudi; zur franzö-
sischen Zeit wanderte es mit so vielen anderen Werken nach Paris,
wo es von Holz auf Leinwand übertragen wurde und erst 1822 nach
Spanien zurückkehrte.
Das letzte Bild, an welches Rafael die Hand gelegt, ist die Welt-
berühmte Transfiguration, oder Verklärung Christi in der Galerie des
Vatikans. Das Gemälde wurde durch den Kardinal Giulio de' Medici,
nachmaligen Papst Clemens VII, für die Hauptkirche seines Bisthums
Narbonne bestellt, während derselbe zu gleicher Zeit Sebastiano del
Piombo die Auferweckung des Lazarus auftrug. Rafael schilderte im
oberen Theile der gewaltigen Altartafel nach dem Ev. Matth. XVH. 1 ff.
den in Himmelsglanz emporschwebenden Christus, der zwischen Moses
und Elias über dem Berge Tabor erscheint. Es sind Gestalten von
überirdischer Herrlichkeit, namentlich Christus, der mit ausgestreckten