Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

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III. Buch. 
VII. 
Kapitel. 
Rafael unter Leo 
Wiege mit stürmischer Zärtlichkeit zur Mutter empor, die nieder- 
knieend mit holder Innigkeit den Kleinen zu sich heraufzieht. Ihr 
gegenüber sitzt die h. Elisabeth und hält den kleinen Johannes, dessen 
Hände sie wie zum Gebet zusammenlegt. Ueber sie beugt sich ein 
herbeieilender Engel, der Blumen auf die Gruppe herabstreut und im 
Motiv an die Horen beim Göttermahl der Farnesina erinnert. Die 
Lücke der Composition, die sich unter seinen Armen bildet, füllte Ra- 
fael mit einem andern Engel, der nach seinem Gefährten blickt, indem 
er die Arme innig über der Brust kreuzt. Bezeichnend ist, dass auch 
hier der h. Joseph etwasabseits, den Kopf auf die rechte Hand ge- 
stützt, der Scene zuschaut. Man kann nicht sagen, dass er für die 
sonst so schön geschlossene Gomposition nothwendig wäre. Das herr- 
liche Bild, obwohl es in dem zu energischen Kolorit die Hand G. R0- 
mano's erkennen lässt, gehört als Composition zu den trelflichsten 
Schöpfungen RafaePs. Es zeigt die breiten grossen Formen, die glän- 
zende Lebensfülle seiner späteren Zeit, und selbst in dem Bestreben, 
den idyllischen Ton zu dramatischer Bewegtheit, zu festlich rauschender 
Freude zu steigern, erkennt man den schwungvoll gehobenen Schritt, 
der in seinen monumentalen Schöpfungen widerhallt. Ueber die Ent- 
stehungsgeschichte dieser beiden Bilder sind wir genügend unterrichtet. 
Leo X. , der aus politischen Gründen Franz I. für sich zu gewinnen 
wünschte, bestimmte den h. Michael für den König, die Madonna für 
die Königin als Geschenke. Im Frühling 1517 erhielt Rafael den Auf- 
trag, binnen Jahresfrist war derselbe erfüllt, so dass die Bilder im 
Juni 1518 in prachtvollen Rahmen die Reise antreten konnten. Ueber 
diese Bilder schrieb der scheele Neid des Sebastian del Piombo am 
2. Juli 1518 an Michelangelo: „Wie schade, dass Ihr nicht hier ge- 
wesen seid, um die beiden Bilder des Hauptes der Synagoge (so ent- 
blödete er sich nicht, Rafael zu nennen!) zu sehen, die nach Frankreich 
gegangen sind. Ihr könnt Euch nichts vorstellen, was Eurer Anschauung 
widerstrebender wäre. Ich sage nur, die Figuren sehen aus, als hätten 
sie in Rauch gehangen, oder als wären sie von Eisen, ganz hell- 
glänzend und ganz schwarz. Wie sie gezeichnet sind, wird Euch 
Leonardo sagen." Er bezieht sich hier auf eine ihm ebenbürtige 
Natur, den Bildhauer Lionardo Sellajo, der am 1. Januar 1519 an 
Michelangelo schrieb: „Man hat kürzlich das Gewölbe bei Agostino 
Chigi (d. h. in der Farnesina) aufgedeckt: ein Werk, das eines grossen 
Meisters unwürdig ist; noch schlechter als die letzte Stanze im Vatikan." 
Wie sorgfältig übrigens Rafael das Werk vorbereitet hatte, sehen wir
	        
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