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Buch.
Kapitel.
Rafael
Leo
unter
seiner Kardinäle vor. (Fig. 82.) Die weichlichen unschönen Formen
des gedunsenen Gesichtes boten der Auffassung gewiss grosse Schwierig-
keiten, und doch hat Rafael durch die geistreiche Behandlung einen
vornehmen Zug hineingebracht, der besonders durch die aristokratischen
Gesichter der beiden neben dem Papst stehenden Prälaten sich zu
historischer Bedeutsamkeit steigert. Hinter seinem Sessel steht der
Kardinal de' Rossi, ein besonders bevorzugter Schwestersohn des Papstes,
mit den Händen die Lehne des Sessels haltend; links dagegen der
Kardinal Giulio de' Medici, nachmals Clemens VII. Nach den Be-
richten der Zeitgenossen über die Gestalt Leo's, hat Rafael sein Mög-
lichstes gethan, die schwerfällig unschöne Erscheinung zu mildern;
dennoch ist das fette stark geröthete Gesicht mit den grossen blöden,
kurzsichtigen Augen kein erfreulicher Anblick. Ungemein lebensvoll
bewegt sind die Hände, meisterlich die pompös bauschenden Stoffe,
namentlich das weisse Damastgewand gemalt, und doch so diskret, dass
es sich nicht besonders verdrängt. Auch das Beiwerk, die Glocke auf
dem Tische, das Gebetbuch mit Miniaturen und das Vergrösserungsglas,
welches der Papst in der Hand "hält, ist vortrefflich gemalt, und das
Ganze durch leuchtende Tiefe und strenge Gluth der Farbe, sowie
lFeinheit des Helldunkels von einer an die Venezianer erinnernden
Pracht. Das Bild darf aus äusseren und inneren Gründen um 1518
angesetzt werden. Von der durch Andrea del Sarto angefertigten
Kopie war oben S. 202 die Rede.
Auch den schon 1516 verstorbenen jüngsten Bruder des Papstes,
Giuliano de' Medici, hat Rafael wie wir wissen gemalt, aber das in den
Uffizien befindliche Porträt kann nur als Kopie gelten. Dagegen ist
vor einiger Zeit ein Bildniss in die Sammlung der Grossfürstin Marie
von Russland übergegangen, in welchem man das Original dieses Bildes
erkennen will. Derselben früheren Zeit gehört endlich das Doppel-
porträt der beiden venezianischen Gelehrten Navagero und Beazzano,
welches Rafael für Pietro Bembo malte. Letzterer berichtet einmal in
einem Briefe vom 3. April 1516 an Bibbiena, dass er am folgenden
Tage mit den beiden Venezianern, dem Grafen Üastiglione und mit
Rafael eine Fahrt nach Tivoli vorhabe. In diesen Zeitraum fällt offen-
bar das Gemälde, von welchem die Galerie Doria in Rom, wenn nicht
das Original, so doch eine gute alte Kopie besitzt. Jedenfalls sind die
beiden charaktervollen Gestalten von grossartiger Kraft und ächt histo-
risehem Leben und, wie die meisten dieser Werke RafaePs, von einer
an die Venezianer erinnernden einfachen Macht koloristischer Behandlung.