322
Buch.
VII.
Kapitel.
Rafael
unter Leo
hingerissen, glaubt, Jupiter und Merkur seien zur Erde niedergestiegen,
erweist den Wunderthätern göttliche Ehren, und der Priester des Ju-
piter schickt sich an, ihnen zu opfern. In der Mitte des Bildes sehen
wir einen Stier, von einem knieenden Mann bei den Hörnern fest-
gehalten, wahrend ein andrer Opferdiener mit dem Beile ausholt, um
das Thier zu fällen. Da stürzt ein schöner Jüngling aus der Masse
des Volks hervor und hemmt mit ausgestrecktem Arme das Beginnen,
denn er allein hat bemerkt, dass Paulus, links auf einer Erhöhung
stehend, voll Abscheu seine Kleider zerreisst, während hinter ihm
Barnabas wie beschwörend die Hände ringt. In wildem Gedränge
fluthet die Volksmasse heran, Männer und Jünglinge, Weiber und
Greise, besonders charakteristisch in der Mitte derselben der geheilte
Lahme, der die Krücken weggeworfen hat und die Hände inbrünstig
zum Apostel erhebt. Sein stupider. Kopf mit dem hässlichen Profil
strahlt von Dankbarkeit, ein Alter neben ihm beugt sich vor und hebt
den Gewandzipfel des Geheilten, um sich zu überzeugen, ob das Bein
wirklich normal sei. Zwei Andere hinter ihm schauen aufmerksam zu.
Ein zweiter Opferstier wird von bekranzten Tempeldienern herbei-
geführt. Im Gegensatze zu diesem stürmischen Treiben umgeben die
Priester in ernster schweigender Gruppe den Opferakt. Links im
Vordergrund endlich bringt ein Diener noch einen Widder herbei und
blickt erstaunt zum Apostel auf, da er dessen Zorn gewahr wird. In-
mitten all dieses Getümmels sieht man an dem reich geschmückten
Altar zwei liebliche Knaben stehen, von denen der eine auf der Doppel-
flöte blast, während der andere das Weihrauchkästchen hält. Mit Wonne
ruht das Auge auf diesen köstlichen Gestalten. Den Hintergrund
schmücken reiche Gebäude in klassischen Formen; dazwischen erblickt
man auf einem Postament die Statue des Merkur. An Reichthum und
Fülle mannichfaltigen Lebens, an dramatischer Schlagfertigkeit steht
auch diese Composition auf der vollen Höhe des Meisters.
Der letzte Karton schildert nach der Apostelgeschichte XVII. 15 ff.
Pauli Predigt zu Athen. Hier zeigt sich Rafael Wieder als Meister
in der Schilderung fein nüancirter Seelenvorgänge. Paulus steht auf
erhöhtem Platz vor einer prächtigen Halle und predigt voll Begeisterung
den unbekannten Gott. Seine Gestalt erinnert in ihrer machtvollen
Hoheit und der Grossartigkeit des Faltenwurfs an den Paulus Masaccids
in der Cappella Brancacci. Um ihn hat sich theils sitzend, theils
stehend eine Zuhörerschaft von Männern, Greisen und Jünglingen ein-
gefunden, in deren Bewegungen und Gesichtsausdruck mit wunderbarer