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Buch.
Kapitel.
Rafael
unter
Leo X.
Kunst der neueren Zeiten hat in dieser besonderen Gattung nichts von
nur annähernd gleicher Anmuth hervorgebracht. Wie weit RafaePs
eigner Antheil bei den Entwürfen gegangen ist, wird sich wohl nie
feststellen lassen. Es giebt einzelne Originalskizzen mit der Feder
oder in schwarzer Kreide, die sicher von RafaePs Hand sind; so in
der Albertina der Kampf Davids mit Goliath, in Windsor die Ver-
treibung aus dem Paradiese (s. oben) und die Verlosung des Landes
Oanaan (Nr. 12), in Oxford eine Rothstiftskizze für die Frauen auf
der Findung Mosis. Andere Entwürfe, die in flüchtiger aber geist-
reicher Weise mit der Feder gezeichnet, mit Sepia getuscht und mit
Weiss gehöht sind, wird man zum Theil wohl ebenfalls auf ihn zurück-
führen dürfen. Manche darunter freilich werden von Giulio Romano
und andern seiner Schüler herrühren, denn es lässt sich denken, dass
er ihnen auch beim Entwerfen vielfach freie Hand liess und sich selbst
nur Einzelnes vorbehielt.
Noch eine Bemerkung, welche das feine Gesetz der dekorativen
Wirkung an's Licht stellt, ist hier am Platze. Die ornamentale Ein-
fassung der Bilder wechselt in den einzelnen Kuppeln und zeigt die
grösste Mannichfaltigkeit. Aber auch darin herrscht ein bestimmtes
Gesetz. Die letzte und die erste sind gleichartig behandelt, ebenso
die darauf folgenden und so fort bis zur mittleren der ganzen Reihe,
die für sich in besonderer Weise ornamental behandelt ist. Der beste
Beweis, dass ein planvoll ordnender Geist hier Alles beherrscht und
durchdringt.
Neben allen diesen grossen Unternehmungen, welche allein schon
die Kraft und Zeit eines tüchtigen Mannes in Anspruch zu nehmen
vermöchten, hatte Rafael noch manches Andere auszuführen und zu
leiten. In erster Linie unter diesen Arbeiten stehen die Entwürfe zu
den elf Teppichen, mit welchen Leo X. den Schmuck der sixtinischen
Kapelle zu vervollständigen gedachte. Zahlungsvermerke aus dem Jahre
1515 und dem folgenden deuten an, dass gegen Ende 1516 die Arbeit
abgeschlossen war. Wir dürfen annehmen, dass zwei volle Jahre mit
dem Entwerfen und Ausarbeiten dieser grossen Werke hingingen. Sie
wurden dann in Flandern gewebt, wo man in der Regel solche Arbeiten
ausführen liess, die von der dafür berühmtesten Stadt bei den Italienern
allgemein die Bezeichnung „Arazzi" trugen. Indess hat ein neuerer
Kunstforscher Müntz) es zu höchster Wahrscheinlichkeit erhoben,
dass die Ausführung der rafaelischen Teppiche nicht in Arras, sondern
in Brüssel und zwar in der Fabrik Pieters van Aelst stattfand. Am