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Buch.
Kapitel.
Rafael
unter
Leo
Die beiden andern Bilder stehen an Werth erheblich hinter jenen
zurück. Das erste schildert die Krönung Karls des Grossen durch
Leo III., der wieder mit den Zügen des regierenden Papstes auftritt.
Dafür hat Karl, einer politischen Anspielung und dem Bündniss des
Papstes mit Frankreich zu Liebe, die Züge Franz I. erhalten. Das
Ganze ist ein Ceremonienbild, das durch geschickte Anordnung und
durch charaktervolle Porträtgestalten Interesse gewinnt, während sich
der Künstler durch einige nackte Gestalten, welche Prachtgeräth herbei-
schleppen, schadlos zu halten sucht. Immerhin erkennt man auch hier
den Meister grossen historischen Stils. Das letzte Bild schildert den
Reinigungseid Leo's III. Dieser hatte Karl den Grossen gegen die
aufrührerischen Barone Roms zu Hülfe gerufen. Karl erschien und
forderte beide Parteien vor seinen Richterstuhl. Der Papst weigerte
sich zwar die richterliche Gewalt anzuerkennen, erbot sich aber frei-
willig einen Reinigungseid abzulegen. So sehen wir ihn auf der Freske,
von zahlreichem Gefolge umgeben, vor dem Altar des h. Petrus stehen
und auf das offene Evangelienbuch schwören. Im Vordergrunde rechts
hat Rafael die stolze Gestalt eines der Widersacher des Papstes mit
trotziger Geberde dargestellt, links dagegen die imposante Figur des
Kaisers in prächtigem Purpurkleide, der mit der Rechten energisch
wie bestätigend auf den Papst hinweist. Auch hier ist durch die
Schönheit der Anordnung und die Fülle lebensvoller Gestalten der
Eindruck historischer Würde erreicht. In der Ausführung freilich
herrscht wieder durchweg die Hand der Schüler. Als Sockelfiguren
verwendete Rafael sinnreich eine Anzahl von Fürsten, die dem römischen
Stühle sich geneigt erwiesen haben. Sie waren in Bronzefarbe von
Giulio Romano ausgeführt, mussten aber später von Maratti vollständig
übermalt werden.
Ungleich höher steht die eigene Betheiligung Rafael's bei einem
anderen Monumentalwerk, welches er im Auftrage des kunstsinnigen
Banquiers Agostino Chigi in Sta. Maria della Pace ausführte. Es
sind vier Sibyllen, mit welchen er den Raum über der ersten Arkade
rechts geschmückt hat. (Fig. 73.) Rafael zeigt sich hier wieder als der
grosse Meister der Raumausfüllung, denn er hat seine Sibyllen so ver-
theilt, dass zwei sich an den Bogen anlehnen, zwei andere neben ihnen
sitzend sich ihnen anschliessen, während zwei an den Seiten mit Schrift-
rollen herabschwebende Engel in ungezwungener Weise den Raum
ausfüllen. Ausserdem sieht man zwischen den Sibyllen köstliche Engel-
knaben sich auf, Inschrifttafeln stützen, während auf der Höhe des