Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

Brand 
Borgo. 
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treten. Vor ihr enteilt eine Frau, auf dem Arm einige rasch zusammen- 
geraffte Kleider tragend, und treibt ihre beiden nackten Kinder mit 
den Mienen des Entsetzens vor sich her.  
Ist auf dieser Seite das weibliche Element vorwiegend, so sieht 
man auf der Linken hauptsächlich die Flucht der Männer und Greise. 
Prachtvoll ist namentlich der markige Jüngling, welcher sich von einer 
hohen Mauer herablässt und sich zum Sprünge auf die Erde anschickt. 
Neben ihm hat ein andrer sich auf die Zehenspitzen gehoben, um ein 
Wickelkind aufzufangen, welches die Mutter von der Mauer herabzu- 
reichen im Begriff steht. Noch herrlicher ist die Gruppe im Vorder- 
grund, die an Aeneas und Anchises erinnert, denn ein kräftiger jüngerer 
Mann trägt seinen greisen Vater auf den Schultern in's Freie: eine 
Gruppe, die schon durch die wundervolle Führung der Linien von 
unvergleichlicher Herrlichkeit ist. Neben ihm hält sein Knabe mit dem 
Vater gleichen Schritt und blickt ermuthigend zu ihm auf, während 
die Mutter mit angstvollen Geberden ihm folgt. Beide Seitengruppen 
werden in der Mitte durch eine Gruppe von Frauen mit ihren Kindern 
auf's Schönste verbunden. Während die eine, ihr nacktes Kind im 
Schoosse, am Boden hockt und voll theilnehmenden Staunens nach der 
rührenden Familienscene hinblickt, streckt eine zweite, die sich mit 
dem Rücken gegen den Beschauer auf die Kniee geworfen hat, die 
Arme leidenschaftlich Hehend gegen den in der Tiefe des Bildes er- 
scheinenden Papst aus. Dorthin wendet sich auch die dritte Frau, die 
ihr Kind niederknieen und die Händchen bittend erheben lässt. 
So ist in genialer Weise der Vordergrund mit dem Hintergrunde 
des Bildes verbunden, wo man die Facade der bedrohten alten Peters- 
kirche sieht, davor aber die Ecke des päpstlichen Palastes, wo der 
Papst mit seinem Gefolge in einer Loggia erscheint, die Hand zum 
Zeichen des Kreuzes erhebend, um dadurch den Brand zu löschen. Vor 
dem Palast aber auf den zu demselben emporführenden Stufen sieht 
man ein Gewirr von Männern, Weibern und Kindern, die mit dem 
Instinkt der Angst den Papst um Hülfe aniiehen. Wäre Rafael der 
höfische Künstler gewesen, für welchen die Gedankenlosigkeit ihn bis- 
weilen ausgeben möchte, so hätte er sicherlich die Figur des Papstes 
lebensgross in den Vordergrund gebracht und alles Andere ihr unter- 
geordnet. Aber grade hier bewährt er sich wieder als der hohe Meister 
voll freien Geistes, der keine andere Rücksicht kennt, als die seines 
künstlerischen Gewissens. S0 muss denn der Papst räumlich mit einer 
untergeordneten Stelle vorlieb nehmen, wird aber geistig doch zum
	        
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