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Buch.
VII.
Kapitel.
Rafael
unter
Leo
gesteigerte Kraft eines Einzelnen zu übersteigen scheint, und dass die
schildernde Erzählung in schwerfälligem Nacheinander allen den zu
gleicher Zeit nebeneinander durchgeführten Unternehmungen kaum zu
folgen vermag.
Wir beginnen mit dem dritten Zimmer des Vatikans, dessen Aus-
führung sich unmittelbar dem vorhergehenden anschloss. Rafael wurde
veranlasst, bei den geschichtlichen Darstellungen derselben deutlicher
als vorher die Beziehungen zum regierenden Papste zu markiren, und
so entstand ein Gemaldeschmuck, der zwar das einmal angeschlagene
Thema vom göttlichen Schutz, der über der Kirche waltet, weiter
variirt, aber einen strengeren Zusammenhang noch mehr als in der
zweiten Stanze vermissen lasst. Nach dem vorzüglichsten der darin
enthaltenen Gemälde heisst dieses Zimmer Stanza dell' Incendio.
Die Ausmalung des Zimmers, welche wie die des vorhergehenden mit
1'200 Golddukaten belohnt wurde, dauerte bis 1517. S0 sehr war aber
der Meister mit anderen Arbeiten überhäuft, dass er die Ausführung
ganz in die Hände seiner inzwischen tüchtig herangebildeten Schüler
legen musste, und wenn er die Compositionon bis auf die Naturstudieu
für die einzelnen Gestalten auch mit höchster Sorgfalt vorbereitete, so
ging doch unter fremden Händen nothwendig viel von dieser Unmittel-
barkeit verloren.
Der Brand im Borgo um von diesem bedeutendsten Bilde
zuerst zu sprechen bezieht sich auf ein Ereigniss aus der Regierungs-
zeit Leo's IV, der einen im päpstlichen Viertel ausgebrochenen Brand
durch das Zeichen des Kreuzes gelöscht haben soll. Der Künstler führt
uns in eine enge Strasse, die auf beiden Seiten von den Trümmern
antiker Prachtgebäude eingefasst ist. (Fig. 72.) Die Feuersbrunst hat
schon stark um sich gegriffen, denn zur Rechten und Linken schlagen
Flammen untermischt mit Rauchwolken aus dem Innern der Gebäude
hervor und treiben ein wirres Gewimmel von Fliehenden, besonders
von Frauen und Kindern auf die Strasse. Rechts sieht man vor einer
ionischen Säulenhalle eine Treppe herabführen, auf welcher ein jüngerer
und ein älterer Mann mit dem Löschen des Feuers beschäftigt sind,
während von unten her ein Mädchen sich auf den Zehen aufrichtend,
ihnen Gefässe mit WVasser zureicht. Ganz herrlich ist vorn eine junge
Frau, die eilends einige Stufen herabsteigt, einen Wasserkrug auf dem
Haupte, einen andern in der linken Hand tragend, um sich an dem
Rettungswerk zu betheiligen. Der Sturm wühlt in ihren Gewändern
und lässt die schwellenden Formen des Körpers um so schöner hervor-