Messe
VOYI
Bolsena.
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die ausseren Feinde der Kirche dargestellt, so sollte hier der Sieg der
Kirche unter göttlichem Beistand über ihre inneren Feinde verherrlicht
Werden. Was Rafael aus diesem spröden Gegenstande gemacht, ist
ein wahres Wunderwerk der Kunst. Schon die Besiegung der räum-
lichen Schwierigkeiten zeigt den grossen Meister, der aus äusseren
Hemmnissen für sein Werk neue Schönheiten zu gewinnen weiss. Das
Fenster nämlich ist nicht in der Mitte der Wand angebracht, sondern
stark nach links gerückt. Rafael weiss uns über diesen Mangel an
Symmetrie hinwegzuheben, indem er die Treppe, welche von beiden
Seiten zur Höhe des Fenstergesimses hinaufführt, an der rechten Seite
um so viel verbreitert, dass die Symmetrie hergestellt wird. Er ge-
winnt somit für die Hauptscene einen erhöhten Mitteh-aum, der ähn-
lich dem Chor einer Kirche von einer Balustrade abgeschlossen wird.
Darüber hinweg fällt unser Blick in die edlen Bogenhallen eines Re-
naissancetempels. In der Mitte ist der Altartisch errichtet, vor wel-
chem der Priester im rcichen Messornat stehend eben das Wunder
erlebt. Mit feinem Maass hat der Künstler in seiner Gestalt Staunen
und fromme Scheu ausgedrückt. Während hinter ihm Chorknaben
mit brennenden Kerzen der heiligen Handlung assistiren und, über die
Balustrade gelehnt, zwei Zuschauer in lebhafter Spannung Theil neh-
men, ist das auf den Stufen nachdrängende Volk heftiger von dem
Wunder ergriffen und giebt seiner Begeisterung in mannichfachen, fast
stürmischen Bewegungen Ausdruck. Dagegen haben die im Vorder-
grund mit ihren Kindern am Boden hockenden Frauen das Ereigniss
noch nicht bemerkt und stellen in ihrem ruhigen Verhalten einen
schönen Gegensatz zu den Uebrigen dar.
Wenden wir uns nun zur andern Seite, so fällt vor Allem die
dem Priester gegenüber vor seinem Betpult knieende Gestalt des
Papstes auf. Rafael hat ihm die wohlbekannten Züge Julius des Zweiten
gegeben. In ruhigem Gebet knieend, blickt er ohne äusseres Zeichen
der Bewegung auf den Vorgang. In ihm spiegelt sich die über allen
Zweifel erhabene, des göttlichen Schutzes gewisse Sicherheit der Kirche,
der Selbst ein Wunder nichts Wunderbares ist. Mit welch feiner
Berechnung hat Rafael diese Gestalt isolirt, während er auf der andern
Seite in den dienenden Chorknaben und den Zuschauern das Ereigniss
sich reicher entwickeln lässt. Unten an den Treppenstufen ordnete er
zwei Kardinäle und zwei Geistliche als Gefolge des Papstes, die in
ihrem vornehmen Gleichmuth die Stimmung dieser Seite im Gegensatz
zu dem bewegten Volksgewühl gegenüber noch nachdrücklicher be-