Literatur.
Lyrik.
I
Michelangelo.
Anschauung zu. Es ist ergreifend, diesen titanenhaften Geist, der wie
der Erzvater mit Gott selbst gerungen, immer milder, demüthiger,
ergebener werden zu sehen, in den Gedichten seines Greisenalters nur
noch den Ausdruck tiefer religiöser Inbrunst, reuiger Zerknirschung
Zu finden. In dieser Stimmung lässt er wehmuthvolle Klänge von
Resignation wie Klagen eines Einsamen zu uns dringen:
Ich {lieh zu dir, befreit von schweren Lasten,
Der Welt entrückt; zu friedlichen Guestaden
Eilt so der Kahn, den wilde Fluthen baden,
Dem schon der Sturm zerschlagen Steu'r und Masten.
Die Hände beide, die das Kreuz umfassten,
Der Dornenkranz, das Antlitz schmerzbeladen,
Die Nägel sagten mir, ich werd' in Gnaden
Bereu'n die Schuld und einst im Himmel rasten.
Seht mein verganghes Leben nicht mit Strenge.
Ihr heiPgen Augen, an, dein Arm er räche
O Herr nicht das. was deinem Ohr ein Grauen!
Nein wasche ab, 0 Blut, der Sünden Menge!
Je ärmer ich durch Alter bin und Schwäche,
Je reicher lass mir deine Gnade thauen!
Freilich sah er auf ein langes Leben voll schmerzlicher Ent-
täuschungen zurück. Die edle Freundin war ihm im Tode voraus-
gegangen; einsamer, stiller wurde es um den alternden Meister. Und
nicht am wenigsten schwer empfand er sein Leben lang den Untergang
der florentinischen Freiheit, die er selbst, heldenmüthig jeder Gefahr
trotzend, vertheidigt hatte. Um _ihn aber war eine neue Generation
herangewachsen, die bei gesteigerter ausserer Routine den Verfall der
Kunst sichtlich herbeifiihrte. Endlich klingt aus seinen spätesten
Herzensergüssen ein Wiederhall der umgewandelten Zeitströmung uns
entgegen, die nach verrauschter Lust die Aschermittwochstimmung
der reuevollen Einkehr ins Innere erkennen lasst.
Und nicht minder edel zeichnet sich das Bild jener hohen Frau,
welche die Welt unter dem Namen der Vittoria Colonna kennt, dem
grossen Meister innig verbunden durch denselben Adel der Gesinnung
und durch eine rührende bis zum Lebensende ausdauernde Freundschaft.
Wir finden eine ganze Reihe hochstehender, meist fürstlicher Frauen,
in welchen sich alle edlen Elemente der Bildung jener Zeit wie in
Lübke. Italien. Malerei. II. 2