J eremias
Agostino.
Bildnisse.
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So geht der Flug mit rauschendem Schwung der Bewegung in das
Unendliche hinaus, während unten die Erde immer tiefer wersinkt. Es
ist keine Frage, dass für diese Composition die sixtinische Decke eine
Anregung gegeben hat; aber auch hier bleibt Rafael seinem Genius
treu und kleidet die erhabenste Anschauung in das Gewand reizvoller
Anmuth. Die Ausführung des kleinen Bildes ist von zarter Vollendung,
ohne Kleinlichkeit; die Färbung ist tief gesättigt, von geditmpfter Gluth;
besonders poetisch das Stückchen Landschaft.
Dieser Zeit darf man wohl auch die h. Margaretha des Louvre
zuschreiben, die freilich so stark durch Verputzen und Üebermalen
gelitten hat, dass RafaePs Hand daran nicht mehr zu erkennen ist.
Dennoch verräth der unzerstörbare Reiz jugendlicher Reinheit in die-
ser köstlichen Gestalt, die im tiefsten Waldesdickicht, getragen vom
Gefühl unantastbarer Lauterkeit, über den Leib eines grauenhaften
Drachen dahinschreitet: immer noch den Genius Rafaels Die im
Belvedere zu Wien befindliche Wiederholung rührt von Giulio Romano,
wie die derbere Behandlung mit schweren schwarzen Schatten und
echauffirter Carnation deutlich verräth.
WVeniger glücklich war Rafael, als er im Jahre 1512 für den
römischen Stadtrichter Johann Goritz aus Luxemburg in der Kirche
S. A gostino ein Fresko des Propheten Jeremias malte. Der Auftrag-
geber, ein für Kunst und Wissenschaft begeisterter Mann, hatte in
derselben Kirche durch Andrea Sansovino die ebenfalls noch vorhandene
schöne Marmorgruppe der h. Anna selbdritt ausführen lassen. Als
Rafael nun seine Prophetenfigur hinzufügte, verfiel er dem Einfluss
der Propheten Michelangelds und schuf. ein Werk, das vergeblich mit
den gewaltigen Formen jenes Meisters wetteifert, während dagegen in
den beiden beigegebenen Genien seine ganze Anmuth unverkümmert
zu Tage tritt. Das Fresko zeigt übrigens in der Ausführung kaum
noch eine Spur von Rafael's Hand, da bald darauf in Folge einer
Beschädigung Daniele da Volterra es übermalen musste.
In die frühere römische Epoche gehören endlich noch einige
Bildnisse. Zunächst das berühmte Porträt Julius II. Rafael hat den
gewaltigen Papst in bequemer Haustracht in einem Sessel dargestellt,
auf dessen Lehnen er die Arme legt, während er in der Rechten ein
Taschentuch hält. (Fig. 68.) Die mächtigen Züge des leidenschaft-
lichen Greises wirken um so bedeutender, da er leise vorgeneigt vor
sich hinblickt, als sinne er den grossen politischen Plänen nach, die
diesen Kopf sein Leben lang beschäftigten. Es ist ein Charakterbild