Buch.
Kapitel
Kultur
ital.
Hochrenaissance.
durfte, wenn er ein wahrhaftes Bild der Epoche zeichnen sollte. Aber
wo so viel tiefer Schatten, da ist in der Regel auch glänzendes Lieht
zu vermuthen, und in der That, an solchen Lichtseiten fehlt es dem
Wunderbar reichen Bilde jener Kultur keineswegs. Wir dürfen zu-
nächst nicht vergessen, dass neben jenem frivolen Treiben, welches
besonders in der Sittenlosigkeit des Klerus gipfelte, eine Reihe ernster,
hochsinniger Männer und Frauen vorhanden war, in welchen die rein
geistige Richtung der platonischen Akademie, manchmal in eigenthüm-
licher Vermischung mit christlichen Anschauungen, das ganze Leben
beherrscht. Wenn Michelangelo uns auch nicht als einer der grössten
Künstler dastande, wir würden ihn schon wegen seiner Lauterkeit und
Charaktergrösse, wegen der reinen Flamme, die in seinen Gedichten
wie ein heiliges Feuer lodert, verehren. In diesen poetischen Ergüssen
strömt eine machtvolle, mit Energie nach dem Höchsten ringende
Persönlichkeit ihr Innerstes aus; sie enthalten das Glaubensbekenntniss
des Meisters, geben in männlicher Kraft und herber gedankenvoller
Sprache Zeugniss von den Entwicklungen seines Geistes. Die glühende
Eingebung an die Welt des klassischen Alterthums umfasst bei ihm
nicht bloss die Schönheit der antiken Kunstwerke, sondern fast mehr
noch die Gedankentiefe der platonischen Akademie, der er in jungen
Jahren zu Florenz nahe gestanden. Das sind die Ideale seiner Jugend,
mit denen sich bald sehnsuchtsvolle Anrufungen der Geliebten mischen.
Aber inmitten einer frivolen Zeit und eines zügellosen Lebens steht
seine Liebesempfindung bei dem tief ethischen Kern seiner Natur
rein und lauter da. Das Bild der Geliebten verschmilzt sich ihm mit
dem der Kunst; es wird ihm vollends zur Idee, die sein künstlerisches
Schaffen beseelt.
Als mir dein Augenstern zuerst erglilhte,
Da war's kein irdisch Licht, das mich getroffen,
Schon sah mein Geist entzückt den Himmel offen,
Ein vewÄger Friede zog in mein Gemüthe.
Denn nimmer stillt mein Herz der Anmuth Blüthe,
Erzeugt aus dieser Erde niedern Stoffen;
Der Schönheit Ursprung ist sein Ziel und Hoffen,
Es fliegt der ew'gen Schönheit zu und Güte.
Aber die ideale, am Platonismus genährte Glut seiner Mannesgjahre
wendet sich mit zunehmendem Alter, nicht ohne den umbildenden
Einfluss seiner hochsinnigen Freundin, immer mehr der christlichen