Madonnen
dieser
Zeit.
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goldigen Tönen von so geistreicher Leichtigkeit, dass das Werk in den
Ausgangdieser Epoche, etwa in den Anfang von 1512 gesetzt werden
darf. Eine Variante dieser herrlichen Composition ist die Madonna
della Tenda in der Pinakothek zu München. Es ist dasselbe Motiv,
nur etwas anders gewendet, da die Madonna sich im Profil zeigt, und
das Christuskind aufwärts blickt. Auch hat Rafael die charakteristischen
Besonderheiten des römischen Kostüms abgestreift und der Madonna
eine mehr idealisirende Gewandung gegeben. Poetisch wirkt der gold-
durchwebte Schleier, der das Haar der Jungfrau verhüllt. Die male-
rische Behandlung ist ebenso frei und Hüssig wie bei der Madonna della
Sedia, aber kräftiger in den Tönen und noch breiter in der Pinsel-
führung. Eine Wiederholung in der Galerie zu Turin kann wegen
der grellen, harten Färbung nur als eine Schulkopie, etwa von Giulio
Romano, angesehen werden. Derselben Zeit ungefähr wird das Rund-
bild der „Madonna mit den Kandelabern" angehören, welches sich bei
Lord ÄIunro in London befindet. Die Madonna, die mit dem Aus-
druck sinnigen Ernstes niederblickt und ihr liebliches Antlitz ganz von
vorn zeigt, halt auf ihrem Schooss das auf einem Kissen sitzende Kind,
das lebhaft den Beschauer anblickt und mit dem rechten Händchen
nach dem Busen der Mutter greift. Dies Alles ist von entzückender
Anmuth und von einem vollendet harmonischen Fluss der Linien; da-
gegen können die beiden kandelaberhaltenden Engel, von welchen man
zu den Seiten der Madonna nur die Köpfe und die eine Hand sieht,
unmöglich von Rafael selbst herrühren.
Es ist hier wohl am Platze, darauf hinzuweisen, Welche Bedeu-
tung diese kleineren, für die Privatandacht oder auch für das "studio",
d. h. das Kunstkabinet der Liebhaber bestimmten Andachtsbilder für
die technische Entwicklung der Malerei gewonnen haben. Die Halb-
figurenbilder der Venezianer seit Gian Bellini, die Rundbilder der
Florentiner liefern zahlreiche Beispiele dieser seit dem 15. Jahrhundert
beliebt gewordenen Gattung. Es galt hier, mit Aufbieten der feinsten
künstlerischen Kräfte, für die Andacht und den Genuss hochgebildeter
Kunstfreunde Werke hervorzubringen, die auf genaue Betrachtung in
der Nähe berechnet waren. Die kühnere, breitere Behandlung, welche
die grossen Kirchenbilder und die Fresken verlangten, liess eine ganze
Seite des künstlerischen Schaffens, das liebevolle Versenken und zarteste
Durchbilden, nicht zur Entfaltung kommen. Dasselbe gilt vom Porträt,
welches die gleiche sorgfältige Ausführung verlangte. Wie hoch die
Schätzung solcher Werke in den kunstliebenden Kreisen war, erkennen