276
Buch.
III.
Kapitel.
Rafael unter Julius
Rafael hat die Deckenbilder auf einem imitirten musivischen Goldgrund
gemalt. Das Gold, durch die eingezeichneten Quadrate gedämpft,
mildert und verbindet zu harmonischer Wirkung die Kraft der leuch-
tenden Farben.
Wie diese grossartigen Werke allmählig aus den Anschauungen
der florentiner Zeit in die grössere freiere Formgebung hinüber wachsen,
so verhält es sich auch mit den Tafelbildern der ersten römischen
Jahre. Wir haben hier wieder eine Reihe von Madonnen und heiligen
Familien zu verzeichnen, welche zuerst sich nur wenig von den Horen-
tinischen unterscheiden und dennoch unmerklich in einen neuen Ton
der Darstellung übergehen. Am meisten bleibt Rafael im Typus der
Madonna der früheren Auffassung treu. Es ist immer noch das sanfte
jungfräuliche Antlitz mit den Taubenaugen, das milde Oval mit dem
goldblcnden Haar, das kleine liebliche Mündchen wie früher. Nur die
Formen werden allmählig grösser und voller und der Gewandwurf in
seinem breiten Schwunge lässt den Einfluss des monumentalen Stiles
erkennen. Ebenso gewinnt das Christuskind gleich dem kleinen Jo-
hannes ein kräftigeres Wesen und noch grössere Lebendigkeit. Sodann
weisen die landschaftlichen Hintergründe auf den Einfluss der römischen
Campagna hin, denn wenn bisher noch im umbrischen Charakter feine
Hügelzüge mit mittelalterlichen Städten, Thürmen und Kirchen und
einzelnen zierlichen Bäumen den Hintergrund bildeten, so machen sich
jetzt die kräftigeren Formen und die grossartigeren Linien der römi-
schen Campagna geltend, und klassische Bauwerke sowie antike Ruinen
erheben sich darin. Auch die Färbung dieser Bilder gewinnt allmählig
einen kräftigeren Ton durch tiefe Schatten und energische Modellirung,
so dass der" lichte Goldtcn der früheren Zeit immer mehr verschwindet.
Noch ein wichtiger Zug darf als gemeinsame Eigenthümlichkeit bei
diesen römischen Madonnen hervorgehoben werden: während die floren-
tiner Madonnen einen mehr weltlichen Charakter haben, wird in den
römischen das religiöse Element weihevoller Andacht mehr betont, ohne
jedoch dem allgemein Menschlichen Abbruch zu thun. Vielmehr wird
dasselbe zu reinster Idealität verklärt.
In diese Reihe gehört zunächst die Madonna Aldobrandini, ehe-
mals im Besitz der Lady Garvagh, jetzt in der Nationalgalerie zu
London. Die Madonna sitzt vor dem Pfeiler einer Bogenhalle, durch
deren Oeffnung man in eine noch nach ilorentiner Weise reich mit
Gebäuden besetzte Landschaft sieht. Das Kind sitzt vor ihr und reicht
mit liebenswürdiger Geberde dem kleinen Johannes eine Nelke, nach