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III.
Buch.
Kapifel.
Rafael
unter J ulius II.
prachtvollem Faltenwurf den Schooss verhüllt. Das Haupt bedeckt ein
bekränzter Helm, die Linke ruht auf dem ihr beigegebenen Löwen,
und in der Rechten hält sie einen abgebrochenen Eichenzweig (An-
spielung auf das Wappen der Rovere), von welchem ein allerliebster
an ihr heraufkletternder Genius ein Blattbüschel abzubrechen sucht.
Sein Gespiele füllt d'en noch übrig bleibenden Raum, indem er in
liegender Stellung sich. halb aufrichtet und dem Beschauer den Rücken
zukehrt. Das wundervolle Spiel der Linien in dieser Composition, die
köstliche Mannichfaltigkeit der Formen, die ungezwungene Anmuth der
Bewegungen sind von unerschöpflichem Reiz;
Auf die beiden unteren Felder neben dem Fenster vertheilte
Rafael die Verleihung des weltlichen und geistlichen Rechtes. Links
sieht man, wie Kaiser Justinian, von Hofleuten umgeben, dem vor ihm
knieenden Trebonian das Gesetzbuch iibergiebt. Rechts verleiht der
Papst, der die Züge J ulius des Zweiten tragt, von Kardinälen umgeben,
dem an den Stufen des Thrones knieenden Beamten das Buch der
Dekretalien. Es sind zwei einfache Ceremonienscenen von schlichter
Grösse historischer Auffassung, besonders aber durch die geistvoll
behandelten Porträts von Werth.
Den Sockel dieses Zimmers hatte Rafael mit einem von Fra Gio-
vanni da Verona gearbeiteten hölzernen Täfelwerk bekleiden lassen.
Später wurden an Stelle desselben durch Perin del Vaga grau in grau
gemalte Karyatiden und dazwischen bronzefarbige kleine Darstellungen
angebracht, die aber nachmals durch Maratti durchgängig erneuert
werden mussten.
Es bleibt nun noch das Gewölbe zu betrachten, an dessen vier
Kappen Rafael die allegorischen Gestalten der Fakultäten in grossen
Rundbildern geschildert hat. Die schönste unter diesen ist ohne Zweifel
die Poesie, deren Gestalt ganz erfüllt ist von jener göttlichen Anmuth,
die nur RafaePs Gebilden innewohnt. Die Lyra in der Linken haltend,
mit der Rechten ein Buch gegen den Schenkel stützend, sendet sie den
leuchtenden Blick des schönen lorbeerbekranzten Hauptes begeistert
hinaus. Zwei herrliche Genien neben ihr füllen auf's Köstlichste den
Raum, indem sie Tafeln halten mit der Inschrift: Numine afflatur. In
der That, wie von der Gottheit angehaucht erscheint die seelenvolle
Gestalt. Ihr zunächst kommt die Theologie, deren Kopf sanfter Ernst
erfüllt, noch gehoben durch den Schleier, der von dem bekränzten
Haupte niederwallt. Auch sie hält ein Buch, und weist mit der Rechten
herab auf das unten sich ausbreitende Gemälde der Disputa. Zwei