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Buch.
Kapitel
Rafael
J u] ius
unter
neben diesem einen von faltenreichem Mantel umhüllten Mann sich
an denselben Pilaster stützen und dem Schreibenden über die Schulter
schauen. Gleich daneben einen würdigen Alten, ebenfalls in einen
Mantel gehüllt und wie in stille Betrachtung für sich selbst verloren-
Eine andere Greisengestalt tastet sich an einem Stabe mühsam vor-
wärts, während ein Jüngling sich in Hast entfernt. Haben wir drüben
die Dialektiker erkannt, so sind hier wahrscheinlich die Physiker ge-
meint; doch fehlt es an aller näheren Bestimmtheit der Charakteristik.
Auf dieser Seite vermitteln nun zwei der eindrucksvollsten Ge-
stalten die Verbindung der Hauptgruppen mit denen des Vordergrundes,
denn ein schöner Jüngling, den wir nur vom Rücken sehen, steigt die
Stufen hinauf als ein Wahrheitsuchender, der von einem älteren Manne
auf die beiden grossen Philosophen hingewiesen wird. Der Jüngling
aber zeigt im Hinaufschreiten mit einer an Geringschätzung streifenden
Geberde auf die originelle Gestalt des Cynikers Diogenes hin, der fast
nackt nur mit seinem Becher zur Seite sich isolirt auf den Stufen
gelagert hat und ganz in das Lesen einer Schrift vertieft ist. Man
greift gewiss nicht fehl, wenn man in dem reich geschmückten, die
Stufen hinaufsteigenden Jüngling den Epikuräer Aristipp vermuthet.
Es bleiben nun noch die beiden grossen Gruppen des Vorder-
grundes zu betrachten. In ihnen hat Rafael jene andern Wissenschaften
dargestellt, welche nach der Anschauung seiner Zeit die Vorstufen der
Philosophie bilden: Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. In
der ungemein lebensvollen Gruppe zur Rechten erblicken wir als Mittel-
punkt den Archimedes, welchem Rafael den Kopf Bramantds gegeben
hat. Sich stark herabbeugend und den Mantel mit der einen Hand
zusammenfassend, sucht er mit ausgespanntem Zirkel auf einer am
Boden liegenden Tafel mehreren Jünglingen eine geometrische Figur
zu erklären. Der ganz vorn knieende folgt mit gespannter Aufmerk-
samkeit den Linien; der sich auf ihn stützende etwas weiter zurück-
stehende zeigt durch den Ausdruck des Gesichtes und den begleitenden
Gestus der linken Hand, dass ihm in diesem Augenblick das Verstand-
niss aufgegangen ist. Wieder ein anderer, ebenfalls am Boden knieend,
wendet sich rückwärts zu einem vierten, der noch ohne Zeichen des
Verständnisses sich wie fragend vorbeugt, um diesem mit bezeiehnender
Handbewegung anzudeuten um was es sich handelt. Wahrer und
sehlagender lassen sich die verschiedenen Stufen des Aufmerkens und
Begreifens nicht darstellen, Rafael zeigt sich hier wieder als einen der
grössten Meister psychologischer Charakteristik. Einen herrlichen Gegen-