Die Menge von Gestalten, welche wie ein Areopag erlauchter Geister
diese Hallen füllen, hat den Scharfsinn der Erklärung herausgefordert
und die mannichfachsten Deutungen gefunden. Wir dürfen aber nicht aus
unserer heutigen Erkenntniss der griechischen Philosophie die Erklärung
versuchen, müssen dieselbe vielmehr aus den Anschauungen der Renaise
sance-Epoche ableiten. Die Schriften des Marsilius Ficinus sind dafür als
die wichtigste Quelle zu betrachten. Aber auch so dürfen wir nicht
annehmen, Alles im Sinne jener Zeit genau bezeichnen zu können.
Am wichtigsten ist, dass über die Hauptsachen kein Zweifel aufkommen
kann. Wir erblicken in der Mitte der oberen Halle, zu welcher meh-
rere Stufen hinaufführen, die Häupter der griechischen Philosophie,
Plato und Aristoteles, von einem Kreise ehrfurchtsvoll lauschender
Jünglinge, Männer und Greise umringt. In feierlicher Spannung folgt
Alles den Reden der beiden Häupter, welche zu disputiren scheinen.
Aristoteles, eine edle Mannesgestalt in der Vollkraft der Jahre, die
schlanke Gestalt in einen reich drapirten Mantel gehüllt, hält mit der
Linken seine Ethik gegen den Schenkel gestützt und weist mit der
Rechten gebieterisch auf die Welt der Erscheinungen. Mit welch geist-
reicher Prägnanz ist dadurch jene Philosophie bezeichnet, welche von
der Beobachtung des Einzelnen ausgeht und durch Induction zu den
Gesetzen des Weltalls aufzusteigen sucht! Im Gegensatze zu ihm weist
die ehrwürdige Greisengestalt Platons, der in der Linken seinen Timaeus
hält, wie feierlich betheuernd nach oben, hinauf zu Gott, zu dem Quell
alles Seins, wo er die unsterblichen Ideen erkennt, aus welchen seine
Philosophie Alles ableitet. Nie sind die beiden grossen geistigen Prin-
zipien, welche alles Erkennen beherrschen, in so überzeugender Weise
von der höchsten Kunst verkörpert worden wie hier.
Neben dieser Alles beherrschenden Mittelgruppe des Bildes sieht
man auf derselben obersten Stufe zur Linken eine Gruppe, in Welcher
der an seinem Kahlkopf und seiner Stumpfnase leicht zu erkennende
Sokrates als Lehrer lebhaft demonstrirend den Mittelpunkt bildet. Um
ihn schaaren sich allerlei Leute, schöne Jünglinge, darunter die Helden-
gestalt des Alcibiades im Panzer und Helm, und einfache Männer aus
dem Volke. Ein Alter links winkt Mehreren, die von der Seite heran-
eilen, darunter ein Jüngling mit einem Arm voll Schriften, lebhaft zu.
Auf der rechten Seite sind mehr vereinzelte Gestalten angebracht, jede
derselben aber von hoher malerischer Schönheit. Da sehen wir zu-
nächst an einen Pfeiler gelehnt mit übergeschlagenen Beinen und in
dieser unbequemen Stellung emsig schreibend einen Jüngling, und