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Buch.
Kapitel.
unter
Rafael
J ulius
Unter dem Parnass malte Rafael grau in grau zwei Darstellungen,
in welchen die Werthschätzrlng der Poesie gleichsam historisch bezeugt
wird: Alexander der Grosse lässt die Gedichte Homerls in das Grab
des Achill legen; Kaiser Augustus hindert die Verbrennung von VirgiPs
AenY-xis: Compositionen von lebendiger Schönheit.
Noch tiefer dringt Rafael in dem folgenden grossen Wandgemälde,
das unter dem Namen der Schule von Athen die Philosophie dar-
zustellen hat, in den Geist des klassischen Alterthums ein (Fig. 63).
Was die Anschauung der Renaissancezeit über Bedeutung und Zu-
sammenhang der antiken Philosophie dachte, hat er in diesem herr-
lichen Gemälde verkörpert. Kaum lasst sich ein Stoff denken, der
sich spröder gegen die künstlerische Darstellung verhielte, als die
wissenschaftlicheForschung, vollends wo es sich um etwas so Abstraktes,
wie die Philosophie handelt. Aber die gestaltende Kraft RafaePs war
so gross, dass er nicht den geringsten Rest trockner Abstraktion zu-
rückliess, vielmehr alles in höchste Schönheit lebensvoller Charakteristik,
in freies Zusammensein grossartiger Gestalten umbildete. Und wäh-
rend in der Disputa der Himmel mit seinen göttlichen Geheimnissen
sich vor uns aufthut, während im Parnass wir das wonnige Weilen
auf lorbeerbeschatteter Waldhöhe geniessen, laden uns hier die maje-
stätischen Hallen eines herrlichen Kuppelbaues der Renaissance zum
Verweilen ein. Nicht mehr wie im Mittelalter und in der Disputa
weist Alles in eine transcendente Welt hinüber, sondern die glänzenden
Gestalten haben sich zu festem Wandeln und ruhigem Weilen in einem
Raume zusammengefunden, in welchem die edelste Kunst mit ihren
Formen die holden Schranken des Erdendaseins umspielt. Diese hohen
weiten Tonnengewölbe mit ihren Cassetten, unterbrochen durch einen
mächtigen Kuppelraum, aus welchem Ströme von Licht sich ergiessen,
ausmündend auf eine grossartige Vorhalle, die wie der Tempel selbst
mit plastischen Werken geschmückt ist, sie geben ein Bild von dem
höchsten Ideal der damaligen Architektur, wie es sich zu gleicher Zeit
in Bramantds Entwürfen für St. Peter zu gestalten begann. Es ist
der Tempel der Weisheit, der seine Hallen vor uns aufthut. Zwischen
den dorischen Pilastern, Welche seine Wände gliedern, sind Statuen
in Nischen aufgestellt; man erkennt in der vorderen Halle Minerva
und Apollo und unter ihnen Reliefs, welche den Menschen im Kampfe
mit niederen Leidenschaften zeigen, so namentlich unter Apollo eine
wild bewegte Kampfscene, und weiter unten einen Satyr, der eine
Nymphe raubt.