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Buch.
Kapitel,
Rafael unter Julius
steht ein bärtiger, in reiche antike Gewänder gekleideter Mann, der
einen neugierig über die vorn das Bild abschliessende Brustwehr sich
vorbeugenden jungen Mann auf den neben dem h. Augustinus knieenden,
eifrig schreibenden Jüngling hinweist. So sind die einzelnen Glieder
der Composition geistvoll miteinander verknüpft, die Massen lösen sich
zu freiem mannichfaltigem Leben in rhythmischer Bewegung.
Wenden wir uns nun zur linken Seite, so hat der Künstler hier
wieder in ganz anderer Weise die Gruppen accentuirt. Denn auf der
zweiten Altarstufe, dem drüben knieenden Jüngling entsprechend,
schreitet, dem Beschauer den Rücken zukehrend, eine herrliche Mannes-
gestalt im antiken Philosophenmantel zum Altare hin. Es ist, als Wolle
er seine eigenen in den zu seinen Füssen liegenden Büchern verzeich-
neten Lehren aufgeben, um sich überzeugungsvoll dem wahren Heile
zuzuwenden. Mit seiner edlen Gelassenheit contrastirt auf's Schönste
die leidenschaftliche Hingebung dreier Jünglinge neben ihm, welche
knieend und sich herandrängend mit dem Ausdruck inniger Ergriffen-
heit das Geheimniss der Eucharistie anbeten. Die zwei prächtigen
Bischofsgestalten, welche mit der Miene ruhiger Üeberzeugung hinter
ihnen stehen, schliessen die Gruppe ab. Man muss auch hier das Ganze
wieder mit dem Gegenüber vergleichen, um das schöne Gleichgewicht der
Massen und die freie Mannichfaltigkeit ihrer Gliederung zu bewundern.
Während sich hier der Blick in den Hintergrund öffnet, WO mehrere Per-
sonen, darunter ein Bischof und ein Mönch sich eifrig unterreden, folgt
nun im Vordergrunde als zweiter Hauptpfeiler der Composition der
herrlich-e, blondlockige Jüngling, der mit sanfter Wendung nach dem
Altare hinzeigt und sich dorthin in Bewegung setzt, Während ein auf
eine Pfeilerbrüstung sich stützender Gelehrter mit energisch indivi-
duellem Kahlkopf ihn vergeblich auf eine Stelle in seinem geöffneten
Buche aufmerksam zu machen sucht. Andere dagegen wenden sich
neugierig voller Spannung den Ausführungen desselben zu. Man braucht
in dieser ausdrucksvollen Figur nicht gerade einen Irrlehrer zu er-
kennen; es genügt, ihn als Vertreter irdischer Gelehrsamkeit aufzu-
fassen, welcher die von der Kirche gehütete und in der Monstranz
versinnlichte Lehre gegenüber gestellt wird. Links im Hintergrunde
hat Rafael dem edlen Fra Angelico durch Aufnahme in den Kreis der
frommen Gemeinde seine Huldigung dargebracht. Wie das Gesetz
rhythmisch bewegter Mannichfaltigkeit das Ganze durchdringt, erkennt
man auch daraus, dass links eine liebliche Hügellandschaft, auf deren
Höhe man eine Kirche erbauen sieht, rechts der mächtige Sockel eines