Segnatura.
della
Stanza
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tigen und ununterbrochenen Beschäftigungen bis jetzt noch nicht eigen-
händig habe machen können, wie unsere Verabredung lautete. Wohl
hätte ich es Euch von einem meiner jungen Leute gemalt und von
mir übergangen schicken können, allein das ziemt sich nicht; vielmehr
Würde sich das Gegentheil schicken, um zu zeigen, dass ich das Eurige
nicht zu erreichen vermag. Habt daher gütige Nachsicht mit mir,
denn Ihr werdet auch schon erprobt haben, was es heisst, seiner Frei-
heit beraubt sein und im Herrendienste stehen." Wir erkennen aus
diesen Zeilen, dass der Künstler damals schon mit voller Anspannung
seiner Kräfte und zwar mit Unterstützung von Gehülfen für den Papst
arbeitete. Die grossen Auftrage, welche ihm zu Theil geworden Waren,
knüpften äusserlich an das, was andere Künstler schon vor ihm im
Vatikan ausgeführt hatten. Es galt auch jetzt, die päpstlichen Ge-
mächer mit Fresken zu schmücken. Aber eine ganz neue Gedanken-
und Formenwelt sollte durch Rafael hier zum Ausdruck kommen, der
gegenüber man begreift, dass Julius II. kurzweg herabschlagen und
zerstören liess, was von älteren Arbeiten dem neuen Unternehmen im
Wege stand. Nur Weniges von dem Früheren und darunter gerade
Werke seines alten Meisters, vermochte Rafael's Pietät zu retten und
mit seinen Schöpfungen zu verschmelzen.
Die unter dem Namen der „Stanzen RafaePs" weltberühmten
Räume bestehen aus einer Reihe von Gemächern, Welche an die von
Bramante erbauten Loggien im zweiten Stockwerk anstossen. Es sind
drei Zimmer von etwa 20 zu 25 Fuss und ein grösserer Saal von
gleicher Tiefe bei 50 Fuss Länge. Das zuerst in Angriff genommene
Gemach ist das zweite in der Reihe und trägt den Namen Stanza
della Segnatura, weil dort die päpstlichen Bullen unterzeichnet zu
werden pflegten. In diesem Raume hat Rafael die gesammte geistige
Anschauung seiner Zeit in einer Weise zur Erscheinung gebracht, wie
es niemals vor- oder nachher einem andern Künstler gelungen ist. Auf
den vier grossen, im Rundbogen geschlossenen Wänden stellte er die
Machte dar, welche nach der Anschauung seiner Zeit das geistige
Leben beherrschen: die Theologie, Philosophie, Poesie und Jurisprudenz.
In den vier allegorischen Gestalten des Kreuzgewölbes gab er gleich-
sam die Ueberschriften zu den darunter beündlichen Bildern. Die Kunst
hatte schon im Mittelalter wiederholt solche Gedankenschilderungen
versucht; eins der berühmtesten Beispiele lernten wir in der Cappella
38' Spagnuoli (I, S. 144) kennen. Aber dort sind die einzelnen Ver-
treter der Wissenschaften und Künste ohne innere Beziehung lose an