Sechätes
Kapitel.
Rafael
unter
Julius
Wir haben schon gesehen, wie Julius II. gleich nach dem An-
tritt seiner Regierung Anstalten im grössten Stile traf, um Rom zum
Mittelpunkte des künstlerischen Lebens zu machen. Für seine grossen
Baupläne hatte er Bramante herbeigezogen, als Bildhauer war Michel-
angelo berufen worden; nun folgte, nach Vasarfs glaubwürdigem Zeugniss
durch Bramante empfehlen, für die Malerei der grösste Meister dieser
Kunst, Rafael. Günstigeres und Entseheidenderes für seine Entwick-
lung war nicht zu denken. _Was sein Schicksal bei längerem Weilen
in Florenz gewesen wäre, kann uns die Lebensgeschichte Andrea del
Sarto's lehren, der mit seiner reichen Begabung in den engen Kreis
kirchlicher Kunst gebannt blieb. Rafael dagegen erlangte in Rom im
Wetteifer mit Michelangelo, in der unmittelbaren. Berührung mit den
antiken Denkmälern, jene grosse Anschauung, jenen freien Idealstil,
den nur eine Vveltbühne wie Rom zu entwickeln vermochte. Bis dahin
hatten dort im Vatikan und in den Kirchen llorentinische und in letzter
Zeit umbrische Künstler, darunter sein eigener Lehrer Perugino und
sein Freund Pinturicchio, Wände und Decken mit den heiteren, farben-
schimmernden und goldstrahlenden Fresken bedeckt, welche noch jetzt
den ganzen Zauber der fröhlichen Frührenaissance athmen. Diese
Kunst sollteinun durch die reiferen, edleren Schöpfungen RafaePs über-
Hügelt werden.
Die erste sichere Spur von RafaePs Auftreten in Rom besitzen
wir in einem Briefe, den er am 5. September 1508 von dort aus an
Francesco Francia nach Bologna richtete. Er dankt darin dem von
ihmihochverehrten Meister für das Selbstbildniss, das dieser ihm ge-
schickt, indem er sagt: "Es ist ausnehmend schön und solebendig,
dass ich mitunter wirklich irre geführt werde, indem ich mich Euch
selbst gegenüber zu befinden und Eure Worte zu hören glaube." So-
dann bittet er ihn um Entschuldigung, dass er das seinige" noch nicht
geschickt habe, "welches ich, wie er hinzufügt, wegen meiner wich-