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Buch.
Kapitel.
RafaeFs Jugend.
historischer Darstellung das Höchste erwarten liess. Wie bei der
„schönen Gärtnerinu und bei der Madonna Canigiani setzte er mit be-
rechtigtem Selbstgefühl auch auf diese herrliche Tafel seinen Namen.
Man liest: RAPHAEL VRBINAS. MDVII.
Das Bild blieb als ein allverehrtes Heiligthum an seinem ursprüng-
liehen Ort in der Kirche S. Francesco, bis es 1608 trotz des Protestes
der Behörden von Perugia durch die Mönche des Klosters an den
Kardinal Borghese verschenkt wurde. Jetzt gehört es zu den grössten
Schätzen des Palazzo Borghese in Rom. Als Predella malte Rafael
grau in grau die drei Kardinaltugenden in Medaillons, in der Mitte
die Liebe als Mutter mit drei Kindern, eine Gruppe von lebendigster
Anmuth, rechts den Glauben mit dem Kelch und der Hostie, links die
Hoffnung, betend mit gefalteten Händen. Jede dieser Figuren ist von
zwei Engelknaben eingefasst. Diese Bilder sind in die Gemäldesamm-
lung des Vatikan gelangt, nachdem sie mit der Haupttafel durch die
Franzosen nach Paris entführt worden waren. Die Skizze zur Charitas
sieht man in der Albertina (Br. 186). Die Bilder athmen das geist-
reichste Leben und die edelste Anmuth.
Rafael hatte das Werk in Florenz vorbereitet und dort den Karton
gezeichnet; für die Ausführung der Tafel selbst begab er sich nach
Perugia, von dort kehrte er nach Vollendung des Bildes ohne Zweifel
nach Florenz zurück. Wir besitzen dafür mehrere Zeugnisse. Zu-
nächst eine Zuschrift an den ihm befreundeten Maler Domenico de Paris
Alfani in Perugia, welche sich auf der Zeichnung einer h. Familie,
jetzt im Museum zu Lille, befindet. Domenico hatte sich einen Ent-
wurf Rafaefs zu einem Altarblatt erbeten. Indem Rafael ihm denselben
schickt, bittet er ihn in einem Athem um die Liebeslieder des Riciardo,
"die von jener Leidenschaft handeln, welche ihn einst auf einer Reise
befallen hata und um die Uebersendung einer Predigt, woraus man
mit Unrecht geschlossen hat, Rafael wolle nun, um sich auf seine
römischen Arbeiten vorzubereiten, sich auf die Theologie werfen! Dann
bittet er ihn, Madonna Atalanta zu ersuchen, ihm das Geld zu schicken.
Die Zeilen sind aus Florenz datirt und mit 1508 bezeichnet. Das
zweite Zeugniss besteht in einem Briefe, den er im April desselben
Jahres, ebenfalls aus Florenz, an seinen Oheim Simone Ciarla richtete.
Nachdem er seinem Schmerz über den Tod des Herzogs Guidobaldo
Ausdruck gegeben, spricht er von einem Madonnenbilde der Präfektin,
d. h. der Gemahlin des Francesco Maria della Rovere, den Herzog
Guidobaldo zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Er wünscht sich