Grablegung.
Studien.
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Bewegte sich RafaePs Thätigkeit bis dahin fast ausschliesslich im
lyrisch Idyllischen, so sollte der Abschluss seiner florentiner Zeit ihn
nun auch auf dramatischem Gebiet erproben. Atalanta Baglioni, die
in der Bluthochzeit von Perugia ihren ritterlichen Sohn verloren hatte,
bestellte, als Rafael noch in Perugia weilte, für die Kirche S. Fran-
cesco daselbst eine Pieta, welche nun erst unter den Eindrücken der
florentiner Zeit zur Ausführung kommen sollte. Kaum ein anderes
Werk von Rafael lässt so viele Stadien der Entwicklung in einer Reihe
von Entwürfen erkennen. Sein erster Gedanke war offenbar, das
Werk im Anschluss an die damals noch in Perugia beündliche berühmte
Composition seines Meisters (jetzt in der Galerie Pitti) zu gestalten.
Die erste Form seines Entwurfs bietet eine Federzeichnung im Louvre
(Br. 239); doch ist der Künstler auch hier weit entfernt von direkter
Nachahmung. Schon dass er den Figurenreichthum der Composition
beschränkt und aus den elf theilnehmenden Personen, welche dort den
Leichnam Christi trauernd umgeben, deren sieben macht, deutet darauf
hin. (Fig. 58.) Auch ist der Leichnam, der bei Perugino halb auf-
recht auf einem vom Bahrtuch bedeckten Felsen liegt, hier ganz an-
ders gewendet, so dass die Ruhe im Tode viel ergreifender zum Aus-
druck kommt. Die Madonna hat den Kopf ihres Sohnes auf ihren
Knieen gebettet, während eine der Freundinnen dem unteren Theil
des Körpers auf ihrem Schoose ein weiches Auflager bereitet und mit
dem linken Arme ihn umfasst, um ihn vor dem Herabgleiten zu
schützen. Dabei blickt sie bekümmcrt zur Madonna auf, denn dieser
sind, von der Erschütterung übermannt, die Sinne geschwunden,
und ihre beiden Begleiterinnen fangen sie mitleidig in ihren Armen
auf, während eine vierte jüngere Frau, hinter der_Gruppe stehend,
in sanfter Neigung den Schleier der Madonna zart zu lüften sucht.
Weiter links steht der bärtige, durch einen Turban charakterisirte
Nicodemus und drückt mit ausgebreiteten Händen seine Theilnahme
aus. Diese Gruppe ist anSchönheit des Aufbaues und edler Ab-
stufung der Empfindungen ein wahres Meisterwerk und geht, wenn
auch in einzelnen Zügen mit dem Werke Peruginds verwandt, doch
entschieden über dieselbe hinaus. Man kann nur die etwas zu ge-
drangte Anordnung der Madonnengruppe beanstanden. Rechts von
dieser Gruppe steht isolirt die herrliche Figur des Johannes, der die
Hände im tiefsten Kummer ringt und zum sanft geneigten lockigen
Haupt emporhebt. Auch für diese Figur findet sich in Peruginds
Composition ein Vorbild in der zu Haupten des Erlösers stehenden