246
Buch.
V. Kapitel.
Jugend.
RafaePs
über sitzen, und der h. Joseph auf seinen Stab gestützt die Spitze der
Gruppe bildet. Ursprünglich schwebten in der Luft sechs Engelköpfe,
(man vergleiche z. B. die Kopie zu Oxford, Br. welche einer
modernen Restauration zum Opfer gefallen sind. Die strenge Regel-
mässigkeit des pyramidalen Aufbaus weist auf die mittlere florentiner
Zeit des Künstlers, wo er im Wetteifer mit Fra Bartolommeo das
Thema der Madonna und der h. Familie wiederholt und immer von
Neuem durchgearbeitet hat. In der That giebt es mehrere Compo-
sitionen des Frate, welche mit der rafaelischen nahe verwandt sind.
Die erste Skizze zu dem Bilde sieht man in der Sammlung des Louvre,
wo der h. Joseph noch seitwärts, statt nach vorn gewendet ist (Fig. 56);
eine andere geistvolle Skizze für die Frauengruppe besitzt die Alber-
tina (Br. 155). Das Bild, welches durch Verputzen gelitten hat, ist
immer noch durch die goldig klare Färbung und die feine Harmonie
der Töne, die an die Madonna Colqnna erinnert, durch den geistreich
flüssigen Farbenauftrag von hohem Reiz. Der blaue Mantel und das
rothe Kleid der Madonna, das stahlgraue Gewand der Elisabeth, der
grüne Rock und gelbe Mantel Josephs sind durch zarte Abtönung
köstlich zusammengestimmt. Am Gewandsaum der Madonna liest man
die Inschrift RAPHAEL VRBINAS. Eine geistvolle Variation des-
selben Themas, und zwar in freierem Aufbau, zeigt das kleine trefflich
erhaltene Bild des Museums zu Madrid, welches nach einem an Lio-
nardo anklingenden Motiv das Christkind mit einem Lämmchen spielend
darstellt. Während die neben ihm knieende Madonna den Kleinen
festhält, blickt dieser in kindlicher Lust zum h. Joseph auf, der sich
auf einen Stab stützt und dem heitren Spiel gemüthlich zuschaut. Es
ist abermals ein köstliches Bild holden Familienglücks. Noch einmal
kehrt eine ähnliche Composition wieder in der h. Familie mit dem
bartlosen Joseph, wahrscheinlich 1506 für den HGrZOg von Ürbino
ausgeführt, jetzt in der Ermitage zu Petersburg. Auch hier schaut
der h. Joseph, auf seinen Stab gestützt, dem harmlosen Spiele des
Christkindes zu, das auf dem Schoosse der Mutter sitzt und zu dem
Nährvater freundlich aufblickt. Die anmuthige Scene geht in einem
Zimmer vor sich, dessen Fenster den Ausblick in eine Landschaft
gewährt. Durch Verlust der Lasuren hat das sonst wohlerhaltene Bild
etwas von seinem warmen Ton eingebüsst.
Ganz dieselbe Stimmung und ähnliche Anmuth der Formen und
des Ausdrucks zeigt die herrlich empfundene Gestalt der h. Katharina,
welche aus dem Palast Borghese in englischen Privatbesitz und endlich