Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

Die 
Literatur. 
Lyrik. 
Sah ich auf Erden je ein Bild des Schönen, 
Das meine Seele zitternd nachempfindet? 
Blieb mir ein Himmelsstrahl, der nie erblindet, 
Von jener Seligkeit, nach der mit Thränen 
Sich die verbannten Menschenherzen sehnen, 
Die niemals ganz aus dem Gedächtniss schwindet? 
Das was ich fühl" und schau', das was mich leitet, 
Ist nicht in mir, noch weiss ich wo es Enden! 
Zeig du es mir, denn seit ich Dich erschaue 
Fühl ich, wie sich in meinem Busen streitet 
Ein Ja und Nein, ein hittersüss Empfinden; 
Gewiss Dein Auge ist es, holde Fraue. 
So finden wir denn in der italienischen Lyrik jener Zeit neben 
manchem Erkünstelten und Gesehraubten nicht selten den Ausdruck 
achter Empfindung und tiefer Gedanken, Und es fehlte diesen Schöpfun- 
gen keineswegs an einer lebendigen Theilnahme der Zeitgenossen. 
Besonders galt dies bei dem erregbaren Naturell der Nation von den 
Vorträgen der Improvisatoren, denen man mit einer Begeisterung 
lauschte wie -im Alterthum den homerischen Rhapsoden oder im Mittel- 
alter den Gesängen der Troubadours. Von dem berühmtesten unter 
diesen Volksdichtern, Bernardo Aceolti aus Arezzo, den man „l'Unico 
Aretino" nannte, wird uns berichtet, dass er namentlich am Hofe 
Leo's X. sowie am Urbinatisehen in grossem Ansehen stand. Wenn 
Sich die Kunde verbreitete, „der Einzige" werde singen, so schloss 
man alle Läden, Handel und Verkehr standen still, und die Menge 
strömte hin, ihn zu hören. Athemlos lauschten ihm Vornehme und 
Geringe, man stellte Wachen an die Thüren, um Störungen zu ver- 
meiden, Beifallssalven begleiteten seine Worte, und die vornehmsten 
Prälaten drängten sich heran, ihn mit übersehwänglichem Lob zu 
tiberschiitten. 
Und doch tritt ungleich glänzender das Epos in einer Reihe 
hochbegabter Dichter auf , und hier vor Allem erkennt man sowohl 
die Schwächen wie die Vorzüge der nationalen Phantasie. Es war 
kein einheimischer, sondern ein entlehnter Stoff, die französischen Sagen 
vom Kaiser Karl imd seinen Paladinen, welche die italienische Dich- 
tung zum Gegenstand nahm. Da aber die mittelalterliche Welt mit 
ihren feudalen Verhältnissen, mit Ritterliehkeit, Treue und Keuschheit 
den damaligen Italienern unendlich fern lag, so vermochten sie diese 
ganze Welt nur durch das Medium des Spottes und der Ironie zu
	        
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