Die
Literatur.
Lyrik.
Sah ich auf Erden je ein Bild des Schönen,
Das meine Seele zitternd nachempfindet?
Blieb mir ein Himmelsstrahl, der nie erblindet,
Von jener Seligkeit, nach der mit Thränen
Sich die verbannten Menschenherzen sehnen,
Die niemals ganz aus dem Gedächtniss schwindet?
Das was ich fühl" und schau', das was mich leitet,
Ist nicht in mir, noch weiss ich wo es Enden!
Zeig du es mir, denn seit ich Dich erschaue
Fühl ich, wie sich in meinem Busen streitet
Ein Ja und Nein, ein hittersüss Empfinden;
Gewiss Dein Auge ist es, holde Fraue.
So finden wir denn in der italienischen Lyrik jener Zeit neben
manchem Erkünstelten und Gesehraubten nicht selten den Ausdruck
achter Empfindung und tiefer Gedanken, Und es fehlte diesen Schöpfun-
gen keineswegs an einer lebendigen Theilnahme der Zeitgenossen.
Besonders galt dies bei dem erregbaren Naturell der Nation von den
Vorträgen der Improvisatoren, denen man mit einer Begeisterung
lauschte wie -im Alterthum den homerischen Rhapsoden oder im Mittel-
alter den Gesängen der Troubadours. Von dem berühmtesten unter
diesen Volksdichtern, Bernardo Aceolti aus Arezzo, den man „l'Unico
Aretino" nannte, wird uns berichtet, dass er namentlich am Hofe
Leo's X. sowie am Urbinatisehen in grossem Ansehen stand. Wenn
Sich die Kunde verbreitete, „der Einzige" werde singen, so schloss
man alle Läden, Handel und Verkehr standen still, und die Menge
strömte hin, ihn zu hören. Athemlos lauschten ihm Vornehme und
Geringe, man stellte Wachen an die Thüren, um Störungen zu ver-
meiden, Beifallssalven begleiteten seine Worte, und die vornehmsten
Prälaten drängten sich heran, ihn mit übersehwänglichem Lob zu
tiberschiitten.
Und doch tritt ungleich glänzender das Epos in einer Reihe
hochbegabter Dichter auf , und hier vor Allem erkennt man sowohl
die Schwächen wie die Vorzüge der nationalen Phantasie. Es war
kein einheimischer, sondern ein entlehnter Stoff, die französischen Sagen
vom Kaiser Karl imd seinen Paladinen, welche die italienische Dich-
tung zum Gegenstand nahm. Da aber die mittelalterliche Welt mit
ihren feudalen Verhältnissen, mit Ritterliehkeit, Treue und Keuschheit
den damaligen Italienern unendlich fern lag, so vermochten sie diese
ganze Welt nur durch das Medium des Spottes und der Ironie zu