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Buch.
Kapitel.
BafaeFs Jugend.
Palaste freistand. WVohl mag der Eindruck eines so hochgebildeten
Lebens, wie er esdort sah, seiner fein angelegten Natur förderlich
gewesen sein. Aus derselben Zeit stammt wahrscheinlich eine Reihe
architektonischer und landschaftlicher Studien seines Skizzenbuchs zu
Venedig, darunter namentlich die Ansicht seiner Vaterstadt, die er
vielleicht gezeichnet hat, kurz ehe er von ihr Abschied nahm. Mit
Sicherheit wissen wir nur, dass er im Jahr lÖÜO seinen Wohnsitz in
Urbino mit Perugia vertauscht hatte.
Perugia befand sich damals zerrissen von den Parteikämpfen
zwischen den beiden mächtigen Familien der Baglioni und der Oddi.
Kurz vorher (1489) waren letztere vertrieben worden, und die Baglioni
herrschten in der Stadt. Als bald darauf die Verbannten durch nächt-
lichen Üeberfall sich der Stadt zu bemächtigen suchten, Wurden hundert
und dreissig von ihnen niedergehauen und am Palazzo pubblico auf-
gehängt. Damit war zwar die Herrschaft der Baglioni befestigt, aber
nun brachen innerhalb der Familie die heftigsten Fehden aus. Bei
der Hochzeit Astorre's (1500) fand ein allgemeines Blutbad statt, bei
welchem die tapfersten Mitglieder der Familie hingeschlachtet wurden
und Atalanta Baglioni, die später bei Rafael als Denkmal ihres Mutter-
schmerzes die Grablegnng bestellte, ihren heldenhaften Sohn vor ihren
Augen sterben sah. Mitten in diese Wirren und Kämpfe fiel die An-
wesenheit RafaePs. Aus dem stillen, friedlichen Urbino war er in die
Anfregnngen jener Bürgerkämpfe versetzt, an denen die Localgeschichten
Italiens so reich sind. Aber in die Stille der Werkstatt drang nur
ein Wiederhall der äusseren Stürme. Eine günstigere Stätte für die
Entwicklung seines Genius hätte der junge Ürbinate nicht zu finden
vermocht, Bei Perugino erhielt er nicht bloss die tüchtige Anleitung
einer soliden Werkstatt, sondern vor Allem entsprach die religiöse
Innigkeit, die seelenvolle Anmuth der umbrischen Kunst der reinen
Stimmung seines eigenen Gemüthes. Das religiöse Ideal eines jugend-
lich gläubigen Herzens ist mit aller Wärme in den YVerken Peruginds
verwirklicht. Und dazu hatte der Meister eben in der Reife des Mannes-
alters die Höhe seiner künstlerischen Entwicklung erreicht. In jenen
Jahren entstanden seine edelsten Schöpfungen, die Verklärung Christi,
die Grablegung, die Vermählung der Madonna. Noch war in seinen
Werken nichts zu spüren von der erst später mehr und mehr hervor-
tretenden Verausserlichung in dem handfertigen Wiederholen gewohn-
heitsmässiger Typen. Noch erfüllte ihn jene Wärme der Empfindung,
die sich wie ein elektrischer Funke der Seele des jungen Rafael mittheilte.