Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

Fünftes 
Kapitel. 
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Hoch auf einem steilen östlichen Ausläufer der Apenninenkette 
liegt das kleine Städtchen Urbino in stiller Einsamkeit des Gebirges, 
alterthümlich und malerisch mit engen gewundenen Gassen, mit zahl- 
reichen Kirchen und Klöstern, ehemals die Residenz der Herzöge von 
Urbino, deren kühn auf steilem Felsen thronendes Schloss das Städtchen 
überragt. Von hier schweift der Blick über die Obstgärten der nächsten 
Umgebung zu den waldigen Hügeln über eine weit ausgedehnte Gebirgs- 
landschaft, die mit ihren sanften Wellenlinien und einzelnen hervor- 
ragenden Kuppen sich bis zum Adriatischen Meere hinabsenkt. Hier 
steht noch in einer der steilen Gassen, die zum Schloss hinaufführen, 
das bescheidene Haus, in welchem am Karfreitag den 28. März 1483 
Rafael geboren wurde. Sieben Monate später in demselben Jahre 
erblickte in einem ilnscheinbaren Städtchen Norddeutschlands Luther 
das Licht der Welt. In beiden grossen Männern brachte "die Zeit 
zum höchsten Ausdruck, was an treibenden Kräften in ihr lag. Wandte 
in Deutschland sich Alles auf die religiöse Seite und führte zur Erneue- 
rung und Befreiung des inneren Lebens, so blieb Italien seiner durch 
Jahrhunderte befolgten Mission treu, die Welt der Erscheinungen im 
künstlerischen Ideal zu verklären, die neu belebte Antike mit den 
christlichen Anschauungen zu vermählen. In Rafael sollte dies Streben 
seinen reinsten Ausdruck gewinnenx"  
Gern stellen wir uns vor, wie der zarte Knabe im Hause seines 
Vaters Giovanni Santi, den wir schon als wackeren Künstler können 
gelernt haben (I, 417 ff), still und glücklich heranwuchs. In der reinen 
i) J. D. Passavmzt, Rafael von Urbino und sein Vater Giov. Santi. Leipzig 
1839. 3Bde.  Französ. Ausg. von Pa-ulLacroix. Paris 1860. 2 Bde-  E- F öTSter, 
Raphael. Leipzig 1867. 2 Bde.  Das Leben Raphaefs, ital. Text von Vasari, 
Uebersetzung und Commentar von H. Grimm (nur der I. Band erschienen). Berlin 
1872,  A. Springer, Haffael und Michelangelo. Leipzig 1878.
	        
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