Andrea.
Sarto.
Privatleben.
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Dagegen concentrirt er das Interesse auf die schönen Gestalten, die in
freier Gruppirung und ausdrucksvoller Bewegung den Blick feSSeln
und durch die Wucht ihrer Erscheinung wiederum an den Stil Fra
Bartolommeds erinnern. Die Pracht der Farbe, die leuchtende Klar-
heit des Helldunkels, der weiche Duft, der die Formen verschleiert,
zeigen den grossen Koloristen auf seiner Höhe. Um dieselbe Zeit
entstand ohne Zweifel die Pieta des Belvedere zu Wien (IV, 23), ein
Werk von ergreifender Kraft des Ausdrucks, wenngleich im Kopfe
Christi etwas zu naturalistisch, fast unedel. Auch dieses Bild ist in der
Farbe trotz mancher Beschädigung von duftigem Schmelz.
Mit diesen Arbeiten hatte Andrea sich bald zu einem der an-
gesehensten Künstler aufgeschwilngen, der sowohl in der Freskomalerei
wie im Andachtsbilde nicht seines Gleichen in Florenz hatte. Mit den
ausgezeichnetsten Künstlern, namentlich mit Jacopo Sansovino und
Rustici, mit F rancia Bigio und der Familie der Robbia stand er in
freundschaftlichem Verkehr. Vasari berichtet manches Ergötzliche von
dem heiteren Leben im Hause des wohlhabenden Rustici, von den
lustigen Gesellschaften und Pickenicks, zu welchen jeder Gast ein Ge-
richt in möglichst abenteuerlicher Form beisteuern musste. So hatte
Andrea einmal einen Tempel geliefert, dessen Fussboden aus Gallert-
mosaik, dessen Säulen aus Würsten mit Parmesankase und dessen
Inneres aus Pastete und Backwerk bestand. Das Chorpult war aus
Kalbfleisch geschnitten und trug ein aus Nudeln und Pfefferkörnern
hergestelltes Missale; als Ühorsiinger fungirten Krammetsvögel und als
Chorherren gemastete Tauben. Es war die letzte Zeit, wo das alte
fröhliche Florenz noch einmal sich einem übermüthigen Lebensgenuss
hingab, der dann beim Einzuge Leo's X. sich in glänzender Pracht-
entfaltung offenbarte. Andrea hatte mit andern Künstlern die Deko-
rationen für den Empfang des mediceischen Papstes herzustellen; es
fehlte nicht an Triumphpforten und Prunkgerüsten aller Art, ja sogar
eine gemalte Scheinfacade fürden Dom führte er mit Sansovino aus,
die allgemein bewundert wurde.
Noch vor diese Zeit fallt der Beginn einer Leidenschaft, welche
für Andrea's Leben verhängnissvoll werden sollte. Seine Geliebte war
Lucrezia del Fede, die er schon 1513 auf dem Bilde von Maria Geburt
in der Gestalt der "üppigen in der Mitte der Composition stehenden
Frau verherrlicht hatte, und die fortan das Modell für alle seine Ma-
donnen wurde. Eine jener plastischen sinnlichen, Erscheinungen, von
energisch ausgesprochenem Temperament, wie es voller Naivetät in den
Liibke, Italien. Malerei. II. 13