Andrea
Sarto.
Fresken
der
Annunziata.
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über'sieht man die prächtig gezeichnete Figur eines halbnackten, auf
den Stufen liegenden Bettlers, welchem ein eben in der Klosterpforte
erscheinender Mönch in einem Korbe Brod bringt. An der unteren
Stufe, die zum Altare führt, liest man die Jahreszahl löiO. Die edle
Natürlichkeit in der Gruppirung, in Geberden, Bewegung und Ge-
wandung, die vollendete Schönheit des Kolorits verleihen diesem Bilde
das Gepräge reifer Meisterschaft. Andrea hatte sich durch diese Ar-
beiten nicht bloss als einer der ersten Freskomaler, sondern auch als
ein Meister historischer Darstellung, ausdrucksvoller und selbst drama-
tisch bewegter Erzählung bewährt.
Bald darauf malte der Meister vier Heiligenbilder im Refectorium
der Salvi, welche sich durch würdige Form und treffliche Farben-
wirkung auszeichnen. Zu gleicher Zeit (gegen 1512) bewährte er sich
durch die jetzt in der Galerie Pitti unter Nr. 124. befindliche Ver-
kündigung auch als ein Meister im Tafelbild und in der Oelrnalerei.
Gabriel kniet, von zwei wunderschönen Engeln begleitet, in zarter
Erregung vor der Madonna, die Rechte feierlich zum Gruss erhebend,
in der Linken eine Lilie haltend. Es ist eine Gestalt von köstlicher
Anmuth. Die Madonna hat sich von ihrem Betpult erhoben, hält in
der Linken das halbgeschlossene Buch und wendet sich fast erschrocken
zur Seite, die Hand wie zur Frage öffnend. Im Mittelgrund ein Palast-
artiges Gebäude, auf dessen Stufen ein nackter Jüngling sitzt; dahinter
eine wonnige Frühlingslandschaft. Das Bild verräth noch eine gewisse
jugendliche Befangenheit und ein liebenswürdiges Anschliessen an den
Stil Fra Bartolommeds, in der Madonna waltet das Jungfräuliche vor,
und in der Färbung bezeugt die weiche, harmonische Stimmung bereits
die koloristische Meisterschaft. Die prächtige Rothstiftstudie zu dem
knieenden Engel findet sich in den Üffizien (B12. 405).
Die nächsten Arbeiten galten der weiteren Fortführung des Freske-
schmucks in der Vorhalle der Annunziata. Er malte hier den Zug
der h. drei Könige, ein Bild von festlicher Heiterkeit, glänzende Ge-
stalten in reichen Kostümen, stattlich einhezrschreitend im frohen Gefühl
der eigenen Würde und Schönheit, dazu eine anmuthige Hügelland-
schaft, wie auf den früheren Bildern durch zarten Baumwuchs belebt,
dessen feine Formen an die Landschaften auf den frühern Bildern
Rafael's erinnern. Ohne bedeutenderen geistigen-Gehalt entzückt das
Bild durch die köstliche Fülle rein malerischer Schönheit, die zugleich
durch die blühende Frische des meisterhaft flott behandelten Kolorits
das Auge erfreut. Der Künstler hat hier unter den Zuschauern sich