Politische
religiöse Zustände.
Die moralisehen Schäden, welche aus jenen politischen Zuständen
sich für die Nation ergaben, traten in allen Erscheinungen des Lebens
zu Tage. In dem eigennützigen Kampf der einzelnen Staaten und
Herrscher erlosch bis zum letzten Funken der nationale Gedanke, der
Sinn für die Einheit, Freiheit und Grösse des Vaterlandes, der in
Dante noch zu glühenden Zornestlammen emporgeschlagen war. Was
früher dafür eine Art Ersatz geboten hatte, die leidenschaftliche Liebe
Zur Vaterstadt, einer der stärksten Antriebe bei den grossen Schöpfungen
des Mittelalters, sieehte ebenfalls dahin. Ebenso wenig gab es in dem
damaligen Italien eine Anhanglichkeit an legitime angestammte Herrscher-
familien, da solche überhaupt nicht vorhanden waren, sondern die be-
stehenden Dynastieen sich durch Üsurpation gebildet hatten. Man liess
die einmal vorhandene Gewalt über sich ergehen, sank zu immer
grösserer Stumpfheit und politischer Interesselosigkeit herab, und rächte
sich für den Verlust der Selbständigkeit höchstens durch Sehmährcden
und Pasquille.
Noch bedenklicher litt der öffentliche Zustand dadurch, dass die
einzelnen Staaten, um sich einander zu erwehren und an Macht zu
ilberflügeln, zu Bündnissen mit auswärtigen Mächten sich gezwungen
sahen. S0 wurde damals wiederum Italien von fremden Heeren ver-
wüstet, und selbst Julius II., trotz seines Programms, die Fremden aus
Italien zu vertreiben, konnte den Bündnissen mit auswärtigen Mächten
nicht entgehen. Nichts ist verwirrender als das Schauspiel der stets
von Neuem geknüpften und ebenso schnell verrätheriseh gebrochenen
Bündnisse, welches namentlich die Politik des damaligen Papstthums
darbietet. Dies rankevolle Spiel voll Tücke und Arglist ging mit jeder
Art Blutthat, mit Gift und Dolch Hand in Hand. Es giebt im da-
maligen Italien nirgends Treue und Glauben, nirgends Redlichkeit,
nirgends Respekt vor geheiligten Verträgen. Meineid und Wortbruch
sind die tägliche Nahrung dieser Politik. Der grösste Staatsmann der
Zeit, Niceolo llIacchiavelli, spricht von all diesen Dingen mit einer
kühlen Ruhe, als 0b sie sich von selbst verstanden. Als Julius II.,
mit Zilrticklassung seiner militärischen Begleitung, in Perugia, das sich
ihm ergeben hatte, einzog, tadelte Maechiavelli den ruehlosen Tyrannen
der Stadt, Giampolo Baglione, dass er nicht die Gelegenheit zu einer
gmSSßn That benutzt habe, deren Ruhm alle damit verbundene Schmach
und Gefahr überragt haben würde. Dagegen verhehlt derselbe Mac-
chiavell seine Bewunderung des Cesare Borgia nicht. Wie an der
meisterhaften Exposition eines Dramas, wie an der harmonischen Schön-