146
Buch .
Kapitel.
Michelangelo Buonarroti.
unterstützt habe. Es liegt kein Grund vor, diese Angabe zurück-
zuweisen, die vielmehr sehr begründet erscheint, wenn man sich der
tiefgehenden, die ganze römische Künstlerwelt damals in zwei Lager
theilenden Gegensätze zwischen den beiden grössten Meistern erinnert.
Dass Michelangelo, der sich in erster Linie als Bildhauer betrachtete,
mit Rafael in der Tafelmalerei nicht in die Schranken treten konnte
uud mochte, ist selbstverständlich; wohl aber konnte er die ausschliess-
liche Bewunderung für Rafael einigelrmassen dämpfen, wenn er einen
grade in der Tafelmalerei ausgezeichneten Künstler mit seinen Er-
ündungen unterstützte. Michelangelds Natur hatte damals noch nicht
die edle Läuterung der späteren Jahre erlangt, er stand noch im vollen
leidenschaftlichen Kampf, und dass seine Gesinnung gegen Rafael nichts
Weniger als freundschaftlich war, erkennt man schon aus dem schnöden
Ton, in welchem Sebastian in seinen Briefen an den abwesenden Michel-
angelo seine hamischen Bemerkungen über jenen aussprechen durfte.
Schrieb er doch nach dem Tode Rafae-Ps an Michelangelo: vlhr werdet ge-
hört haben, dass der arme Schelm von Rafael (nquel povero de Raffaelo de
Ürbino") gestorben ist, was Euch gewiss sehr leid gethan hat. Gott ver-
zeihe ihml" Dennoch fand künstlerisch ein merkwürdiges Weohselverhalt-
niss zwischen Rafael und Sebastian statt, und beide lernten von einander
so viel, dass man zum Theil ihre Arbeiten mit einander verwechselt hat.
Unter solchen Beziehungen entstand dasjenige Werk, welches
man als die Meisterschöpfung Sebastian's bezeichnen muss: die Auf-
erweckung des Lazarus, welche er für den Kardinal Giulio de' Medici,
den späteren Papst Clemens VII. seit 1518 ausführte, zu gleicher Zeit
mit -Rafael's Transfigilration, die im Auftrage desselben Gönners ent-
stand. Es war ein Wettkampf, zu welchem die beiden nach allgemeiner
Ansicht ersten Maler Roms aufgefordert wurden. Sebastian nahm alle
Kraft zusammen und berichtete über den Fortschritt der Arbeit dem
damals in Florenz weilenden Michelangelo. Als das Werk, welches
jetzt in der Nationalgalerie zu London sich befindet (Fig. Q8), voll-
endet war (Dezember 1519), wurde es im Vatikan ausgestellt und er-
regte mit Recht die Bewunderung der Künstler und Laien; nicht wenige
urtheilten sogar mit unverhohlener Schadenfreude; dass Sebastian den
Rafael weit übertroffen habe. Ohne Zweifel hat, wie auch Vasari
andeutet, Michelangelo, der den Beginn der Arbeit sah, auf die Com-
position eingewirkt. Die machtvolle Geberde Christi, der durch sein
gebietendes Wort den Verstorbenen in's Leben zurückruft, dürfte von
ihm inspirirt sein. Noch mehr gilt dies ohne Frage von der er-